Geschichte machen: Roman (German Edition)
ein Piepsen ertönt, ein Schloß klackt, und die Tür schwingt auf. Ich bleibe an der Schwelle stehen und murmle unglücklich wie Michael Hordern in
Agenten sterben einsam
: »Geheimhaltung? Das Wort kann ich bald nicht mehr hören!« Leo dreht sich erschrocken um, daher flüstere ich übertrieben theatralisch in den Jackenaufschlag: »Wir werden in den nächsten dreißig Sekunden eindringen. Bitte Transportmittel bereithalten.«
Der Groschen fällt, und Leo belohnt mich mit einem kurzen Kichern, während die Neonröhren ins Leben flackern. Ich erkläre mir mein kindisches Herumalbern mit Leos argwöhnischer Spannung, fast schon Furcht, die mich ansteckt. Diese Spannung kommt und geht anscheinend. Sie war ihm anzumerken, als er in seiner Wohnung über meine Dissertation sprach, verwandelte sich dann jedoch in spöttische Leutseligkeit. Aber als er mich gegen Ende des Besuchs in das Labor hier einlud, war der gehetzte Blick wieder da.
Ich weiß nicht genau, was ich erwartet hatte. Irgend etwas muß ich doch erwartet haben. Warum sollte mir jemand sein Labor zeigen wollen, wenn es letztlich ein stinknormales Büro war?
Eine glänzende weiße Tafel ohne eine einzige angekritzelte Formel oder auch nur kopfstehende griechische Buchstaben. Keine Oszilloskope, keine Bandgeneratoren, keine langen Glasröhren, in denen rote Blüten ionisierten Plasmas pulsierten, keine tiefen Spülbecken mit Verätzungen durch höllische Verbindungen, keine Sicherheitsbehälter aus Bleiglas,in denen Robotergreifarme radioaktive Bröckchen aus einem Kanister in den anderen packten, kein Poster, auf dem Einstein dem Photographen die Zunge herausstreckte, keine herzliche Computerstimme, die uns mit exzentrisch gemeinter Freundlichkeit begrüßte: »Guten Morgen, Leo. Wieder ein Scheißtag, was?« Kurz gesagt, nichts, was man nicht auch im Verkaufsbüro seines örtlichen Toyotahändlers fände. Sogar weniger, denn der Toyotahändler hätte mindestens einen Tischrechner, einen Computer, eine Topfpflanze, einen elektronischen Terminkalender, ein Faxgerät, einen Wutball für Manager und schließlich einen Jahresplaner an der Wand. Nein, Moment. Einen Computer gibt es hier immerhin. Einen kleinen Laptop mit angeschlossener Maus. Und ich gebe zu, daß es auch Regale mit Büchern und Zeitschriften gibt, und statt des Jahresplaners hängt ein Periodensystem an der Wand.
Leo sieht mir die Enttäuschung an. »Es tut mir leid, aber die Dreckspatzen, wie wir unsere Laborkollegen nennen, haben hier nichts verloren.«
Ich trete vor das Periodensystem und betrachte es mit intelligentem Gesichtsausdruck, schließlich muß ich Interesse heucheln.
»Das hängt da noch von meinem Vorgänger«, sagt Leo.
Was sagt man dazu?
Ich sehe mich um. Nach alter Tradition müßte ich jetzt sagen: »Also hier spielt sich das alles ab«, aber damit käme ich mir ziemlich blöd vor, also nicke ich bloß aus Leibeskräften, als wüßte ich Geruch und Farbe des Raums zu schätzen.
»Wenn ich Apparate brauche, kann ich mir in den angrenzenden Räumlichkeiten Zeit an den großen Maschinen reservieren lassen.«
»Aha. Verstehe. Sie gehören also eher zu den theoretischen Physikern, ja?«
»Gibt es denn andere?« Aber er sagt das freundlich, nicht etwa ungeduldig.
Er geht zum Computer und klappt ihn auf. Mit den mir bekannten Laptops hat der hier nicht das geringste zu tun, und an Leos zitternden langen Fingern merke ich, daß dies für ihn ein großer Augenblick ist. Die obere Hälfte des Geräts wird ganz konventionell von einem rechteckigen Bildschirm ausgefüllt. Aber die Tastatur ist das eigentlich Spannende. Ganz oben, wo für gewöhnlich die Funktionstasten liegen, befindet sich hier eine Reihe viereckiger Tasten, die aber keine Beschriftung aufweisen. Mit einem dünnen gelben Eddingstift hat jemand unter jede Taste Zahlen, Buchstaben und Chiffren geschrieben. Den größten Teil, wo QWERT-Tasten und Trackball oder Trackpad liegen sollten, nehmen kleine schwarze Glasvierecke ein, in denen sich das Neonlicht der Deckenbeleuchtung spiegelt.
Unter dem Labortisch, auf dem dieser selbstgebastelte Kasten liegt, steht ein Schränkchen. Leo öffnet es, und jetzt bekomme ich doch noch echte Maschinen zu sehen. Zwei wuchtige Stahlboxen mit Starkstromschaltern, und an den Seiten quillt ein unbändiger Kabelsalat heraus. Jetzt erst fällt mir auf, daß aus der Rückseite des Laptops zwei bunte Flachbandkabel herauszüngeln und unten im Schrank verschwinden.
Leo legt die
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