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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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ursprünglichen Cavendish-Laboratorien, wo Rutherford die Axt schliff, die dann das erste Atom spaltete, lagen mitten in Cambridge, aber der Neubau liegt weiter draußen, noch hinter Churchill College, in der Richtung vom amerikanischen Friedhof und Madingley.
     
    Ist’s Abendrot noch gold’ne See
    Von Haslingfield bis Madingley?
     
     
    Nein, bester Rupert, leider nicht. Ich fürchte, heute besteht es eher aus Kohlenmonoxidabgasen. Und die Turmuhr steht auch nicht mehr auf zehn vor drei. Ob es zum Tee noch Honig gibt, da müßtest du Jeffrey Archer fragen, dem gehört das alte Pfarrhaus heute. Man müßte eigentlich mal ein neues »Grantchester« dichten.
     
    Sag, steht man noch im Stoßverkehr,
    Wenn heimfährt das Beamtenheer?
    Steigt nachts die Kriminalität
    Und sind Parkplätze dünngesät?
     
     
    Gott segne unser Jahrhundert. Selbst das Hauptgebäude des Labors sieht wie ein ganz normaler Büroblock aus: an allen Ecken und Enden Glas, Schwingtüren und »Empfang – kann ich Ihnen weiterhelfen?« Privatisierte Schirmmützen, eingeschweißte Besucherausweise, die reinste Schikane.
    Wenn man unser Zeitalter mit einem Wort beschreiben will, paßt »Sicherheit« wohl am besten – beziehungsweise eben Unsicherheit. Von der neurotischen Unsicherheit Freuds über die Unsicherheit des Kaisers, des Führers, Eisenhowers und Stalins bis hin zum Schrecken der Bürger der heutigen Welt –
     
    SIE SIND HINTER EINEM HER!
     
    Ihre Feinde. Sie knacken Ihren Wagen, brechen in Ihr Haus ein, mißbrauchen Ihre Kinder, übergeben Sie dem Höllenfeuer, ermorden Sie, um den nächsten Fix zu finanzieren, zwingen Sie zur Verneigung Richtung Mekka, infizieren Sie, verbieten Ihre sexuellen Neigungen, mindern Ihre Rente, verseuchen Ihre Strände, zensieren Ihre Gedanken, plagiieren Ihre Ideen, vergiften Ihre Atemluft, bedrohen Ihre Werte, benutzen in Ihrem Fernsehgerät Gossensprache und zerstören Ihre Sicherheit. Halten Sie sie fern! Sperren Sie sie aus! Schaffen Sie sie sich vom Hals! Vergraben Sie sie!
    Die Hälfte meiner alten Klassenkameraden hat sich – im krassen Gegensatz zu meinem eigenen bereits dargelegten Versagen auf diesem Gebiet – erfolgreich Speeder, Bozzle, Volo, Turtle, Grip und Janga getauft, alle freien Hautlappen perforiert, mit Gold, Silber und Messing gepiercet und ist auf die Straße gegangen. Mit gehißten Totenkopffahnen und Atemmasken gegen die Luftverschmutzung ziehen sie durch die südenglischen Fußgängerzonen: Sie bekämpfen den Individualverkehr, die Strafrechtsnovellen, Autobahnerweiterungen, das Abholzen des Regenwalds, den Bau neuer Kraftwerke … alles. Sie
wollen
ausgesperrt werden; sie
wollen
als gefährlich gelten; sie
genießen
ihr Exil.
    Und ich bin für sie ein Spießer.
    Letztes Jahr hab ich Janga in Brighton besucht, wo sie sich manchmal mit ihren Freunden der Straße trifft, und es war nicht zu übersehen, o nein, es war buchstäblich mit Händen zu greifen, daß ich für diese Freigeister ein Vollspießer war. Wohlgemerkt, wenn ich ein
echter
Spießer und so ein richtiger alter Sack wäre, dann würde ich jetzt darauf hinweisen, daß sie nicht das geringste dagegen einzuwenden hatten, sich in den Pubs von mir freihalten zu lassen, daß es ihnen keinerlei moralische Probleme bereitete, mich morgens um acht in den Laden an der Ecke zu schicken, um ihnen Milch, Brot und Zeitungen zu kaufen. Dann würde ich jetzt auch sagen, daß es möglich sein sollte, ein ultracooler Ökokrieger zu sein, ohne zu stinken wie der letzte Penner. Ich könnte hinzufügen, daß es leicht ist, ein Held zu sein, wenn man von der Stütze lebt. Aber solche Argumente sind unter meinem Niveau, also hören Sie von mir kein Sterbenswörtchen.
    Da stehe ich nun im Foyer im Sonnenlicht und ertrage artig das Stirnrunzeln jener, die an mir vorbeiflattern. Bitte, dann trage ich eben keinen Laborkittel. Bitte, dann bringt mich doch um. Ts! Also diese
Leute

    »Michael, Michael, Michael! Tut mir unendlich leid, daß ich Sie habe warten lassen.« Leos Kittel ist klischeegerechtschmutzig und groteske drei Nummern zu klein für seine langen Arme. »Kommen Sie, kommen Sie.«
    Ich folge ihm wie ein gehorsamer Welpe durch die Korridore und stelle mich gelegentlich auf Zehenspitzen, um durch die hohen Fenster in den Wänden in die Labors schauen zu können.
    Wir bleiben vor einer Tür stehen. »NC 1.54 (D) Professor L. Zuckermann.« Leo zieht eine Plastikkarte durch einen Schlitz: Ein grünes Lämpchen leuchtet auf,

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