Geschichte machen: Roman (German Edition)
würde, wenn man so etwas zuließ.
Einen Augenblick später schnappte er nach Luft, lockerte seinen Kragen und tastete nach den Resten seiner Brille.
Der Mann über ihnen war nicht tot. Er war Offizier eines sächsischen Regiments und quicklebendig. Er war abgerollt und hielt Adi und Ernst grimmig mit einer Luger in Schach. Er starrte sie an, stöhnte überrascht und senkte die Pistole.
»Herrgott!« sagte er. »Deutsche!«
»16. Bayrisches Reserve-Infanterie-Regiment«, sagte Adi. »Lists Regiment? Scheiße, ich dachte, ihr wärt Briten!«
Daraufhin riß sich Adi den Helm vom Kopf und warf ihn weg. Dann wiederholte er das mit Ernsts Helm. »Rudi hatte recht«, sagte er.
»Rudi?« fragte der Offizier.
»Ein Gefreiter in unserem Zug. Unsere Helme sind schuld. Sie sehen den Helmen der Tommys zu ähnlich.«
Der Offizier starrte ihn einen Augenblick an und wollte sich plötzlich ausschütten vor Lachen. »Schockschwerenot! Willkommen im Heer seiner Majestät des Kaisers, Jungs.«
Adi und Ernst glotzten den knapp vierzigjährigen Offizier an, nach seinem groben Auftreten und seiner Ausdrucksweise ein Berufssoldat, der sich auf die Schenkel klopfte und dröhnend lachte.
Adi schüttelte ihn an der Schulter. »Mein Herr! Was ist los! Was ist denn passiert? Sind wir eingekesselt?«
»Umzingelt seid ihr auf jeden Fall! Vor euch Tommys, links Sachsen und rechts Württemberger! Herrgott, wir haben euch vor uns gesehen und für einen britischen Gegenangriff gehalten. Wir halten euch seit zehn Minuten unter Beschuß.«
Adi und Ernst sahen sich entsetzt an. Ernst sah, daß Adi Tränen in die Augen traten.
»Hört mal«, der Offizier hatte sich wieder beruhigt. »Ich muß bei meinen Männern bleiben. Ich versuch, die Nachricht durchzugeben, aber unser verdammtes Fernmeldewesen ist zusammengebrochen. Meldet ihr euch freiwillig, um im Stabshauptquartier Bericht zu erstatten? Dieser Wahnsinn muß ein Ende haben.«
»Natürlich melden wir uns«, sagte Adi.
Der Offizier sah ihnen nach. »Viel Glück«, rief er noch und fügte leise hinzu, »und legt bei Petrus schon mal ein gutes Wort für mich ein.«
Musik machen
Kater
Ich sitze in der Clio auf dem Beifahrersitz, und Jane kutschiert uns zu einer Gartenfete im Magdalene. Der UKW-Klassiksender bringt das
Siegfried-Idyll
, und ich pfeife das kleine Oboenthema mit, das koboldartig von den Streichern fortspringt.
»Ich verstehe einfach nicht«, sagt Jane, »warum Wagner nicht selber darauf gekommen ist. Ein Gejaule ohne Melodie und Takt ist genau das, was an der Stelle fehlt.«
»’tschuldigung.« Ich verstumme und werde mit einem nachsichtigen Lächeln bedacht.
»Schon gut, Pup«, sagt sie und schlägt mir ein paarmal herzhaft auf die Schenkel. »Du meinst es ja nicht böse.«
»Komisch eigentlich«, sage ich nach einer Pause, »daß du Wagner magst.«
»Wieso?«
»Na ja, weißt du. Als Jüdin.«
»Was ist daran komisch?«
»Hitlers Lieblingskomponist und so.«
»Wohl kaum Wagners Schuld. Hitler mochte auch Hunde. Und Sahnetorten waren wahrscheinlich sein Leibgericht.«
»Hunde und Sahnetorten sind nicht antisemitisch«, versetze ich blitzschnell.
»Aber Wagner schon?«
»Natürlich. Das weiß doch jedes Kind.«
»Puppy, ich glaube nicht, daß er sich neben die Öfen gestellt und den Mördern zugejohlt hätte, du etwa? Er komponierte Opern über Liebe und Macht. Die beiden schließen sich aus. Liebe ist stärker, Liebe ist besser. Das hat er oft genug gesagt.«
»Trotzdem. Ich weiß ja nicht.«
»Ich ja auch nicht«, lenkt sie ein. »Und mein Vater haßte es, wenn ich den
Ring
in meinem Zimmer voll aufgedreht habe. Da ist er immer die Wände hochgegangen.«
Es ärgert mich nicht direkt, daß Janes Kunstgeschmack ein kleines bißchen ernster ist als meiner, aber es überrascht mich doch immer wieder. Wenn wir uns einen Film anschauen wollen, zieht sie dem naheliegenden Mainstream immer die »künstlerisch wertvollen« Filme vor. Ich könnte mir den ganzen Tag lang nach Lust und Laune Filme reinziehen und selbst völligem Blödsinn noch etwas abgewinnen. Aber ich habe es ihr ehrlich nicht abgekauft, als sie sagte,
Toy Story
hätte sie von A bis Z gelangweilt, genausowenig wie ich verstehen konnte, daß sie bei
Piano
nicht das kalte Kotzen gekriegt hat.
Schindlers Liste
hat sie sich gar nicht erst angetan, was man ihr kaum verübeln kann.
»Hast du«, frage ich mit belegter Stimme, denn darüber haben wir noch nie gesprochen, »hast du in den Lagern
Weitere Kostenlose Bücher