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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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unsympathisch werden. »Musikalisch, sportlich, gescheit, lustig, mutig, bescheiden und dann auch noch gutaussehend, sagst du? Den kann ich schon jetzt nicht ab.« Sobald man ihm jedoch begegnete, beugte man sich genauso bereitwillig seinem Charme wie alle anderen.
    »Ich bin mitten unter euch und bringe Feigenkaffee«,sagte Rudi und hockte sich zu Adi, Ignaz und Ernst. »Fragt nicht, wie dieses Wunder ward vollbracht – genießt!«
    Ignaz griff ohne Zögern nach der angebotenen Thermosflasche. Das schwere, süße Getränk rann ihm durch die Kehle, und wenn es auch keinen Alkohol enthielt, umnebelte es seine Sinne doch wie feinster Cognac. Er setzte die Thermosflasche ab, und sein Blick traf sich mit Rudis funkelnden Augen.
    »Für meine Männer ist mir nichts zu schade«, sagte Rudi in vollkommener Nachahmung von Lists. »Ihr auch, guter Mann?« Gloder nahm Ignaz den Flachmann ab und hielt ihn Adi hin. Sie sahen sich kurz an. Rudis tief kätzchenblaue Augen begegneten Adis blassem Kobaltblitzen.
    »Danke«, sagte Adi und meinte ›nein danke‹.
    Rudi zuckte die Schultern und bot Ernst den Kaffee an.
    »Adi trinkt nicht, raucht nicht, flucht nicht und hat nichts mit Weibern«, sagte Ignaz. »Man munkelt, daß er nicht mal scheißt.«
    Rudi legte Adi eine Hand auf die Schulter. »Ich möchte aber wetten, daß Adi kämpft. Du kämpfst doch, was, Kamerad?«
    Adis Augen leuchteten auf, als er »Kamerad« genannt wurde. Er nickte heftig und zwirbelte seinen buschigen Schnurrbart. »Natürlich kämpfe ich«, sagte er. »So schnell wird mich der Tommy nicht vergessen.«
    Rudis Hand ruhte noch einen Augenblick auf Adis Schulter, bevor er sie fallen ließ.
    »Ich muß weiter«, sagte er. »Eins wollte ich euch aber noch sagen. Mir ist nämlich etwas aufgefallen.« Er zeigte auf seinen Kopf. »Unsere Helme.«
    »Was ist mit denen?« fragte Ernst und machte zum erstenmal an diesem Morgen den Mund auf.
    »Euch ist es nicht aufgefallen?« fragte Rudi überrascht. »Na, vielleicht bild ich’s mir bloß ein.«
    Nachdem er gegangen war, warteten sie noch eine halbe Stunde.
    Um sieben blies Stöwer mit seiner Trillerpfeife zur Attacke. Zu laut, zu schnell und zu chaotisch für Angst oder Zweifel. Ein schreiendes, fluchendes, kletterndes Gerangel, und schon stolperten sie auf die Linien der Tommys zu.
    Deren Maschinengewehre eröffneten sofort das Feuer. Ernst und Adi hatten Ignaz gleich zu Beginn aus den Augen verloren. Zu zweit kämpften sie sich weiter auf den Ursprung der Salven zu, das Herz der britischen Schützengräben.
    »Stöwer ist tot!« schrie jemand vor ihnen.
    Plötzlich krachten hinter ihnen links und rechts neue Gewehre los, und auf beiden Seiten stürzten in den Rücken getroffene Männer.
    »Schmitt! Mir nach!« rief Adi.
    Ernst Schmitt hatte es die Sprache verschlagen. Das war ein Angriff, das sollte doch ein Angriff werden. Ein Sturmangriff gegen die Briten. Waren sie in eine Falle getappt? Waren sie eingekesselt worden? Oder waren sie im Nebel im Kreis gelaufen, so daß die Briten plötzlich hinter ihnen waren? Er fiel neben Adi hinter einen Busch, und sie drückten sich schweratmend in seine spärliche Deckung.
    »Was ist denn hier los?« fragte Ernst.
    »Schnauze!« sagte Adi.
    Ernst war zu verwirrt, um einschätzen zu können, wie lange sie so dalagen, Sekunden, Minuten oder gar Stunden, bis plötzlich ein schreiender Mann auf sie fiel, was die Unwirklichkeit noch verstärkte und ihm vollends den Atem raubte. Sein Gesicht wurde in den Dreck gedrückt, seine Brille verbog sich, und die Gläser splitterten. Als Knöpfe und Uniformschnallen ihm Nase und Wangen aufrissen, erstickten seine Schmerzensschreie im Magen des Manns.
    Ich sterbe unter einem Sterbenden, dachte er. »Frau Schmitt, wir haben die traurige Pflicht, Sie darüber in Kenntnis zu setzen, daß Ihr Sohn gefallen ist, indem er unter einer Leiche erstickte. Er starb, wie er gelebt hatte, völlig verwirrt.«
    Das ist also der Krieg, die Toten töten die Toten.
    Ernst hatte Zeit für all diese Gedanken. Zeit, über das Hirnverbrannte der Situation zu lachen. Zeit, sich vorzustellen, wie seine Eltern in München das Telegramm lasen. Zeit, seinen Bruder zu beneiden, der zur Marine gegangen war. Zeit, den Generalstab zu verfluchen, der unfähig war, ihnen Entsatztruppen zu schicken. Die mußten doch wissen, was hier vor sich ging. Ernst würde seine Vorgesetzten in gewichtigem Ton darauf hinweisen, daß der Krieg unmöglich bis Weihnachten vorüber sein

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