Geschichte machen: Roman (German Edition)
eigentlich viele Verwandte verloren?«
Sie sieht mich erstaunt an. »Etliche. Die meisten Geschwister meiner Großeltern. Also meine Großtanten und -onkel. Und Vettern, fast alle aus der Generation.«
»Wo? In welchem Lager, meine ich. Weißt du das?«
»Nein.« Sie scheint selbst überrascht von ihrer Antwort. »Nein, das weiß ich nicht. Meine Verwandten mütterlicherseits stammten aus der Ukraine, glaube ich. Die väterlicherseits aus Polen. Also irgendwo im Osten, nehme ich an.«
»Du hast deine Eltern nie gefragt?«
»Nein. Das läßt man lieber. Sie hätten eher
ihre
Eltern fragen müssen. Mein Vater wurde zwei Jahre nach Kriegsende geboren.«
»Stimmt natürlich.«
»Ich glaube, mein Opa hat irgend etwas geschrieben. Memoiren, Tagebuch oder so. Warum?«
»Och, nur so. Hab mich einfach so gefragt. Du hast nie darüber geredet.«
»Was soll ich groß erzählen?«
»Da hast du auch wieder recht.«
Vertrautes Schweigen.
Das
Siegfried-Idyll
klingt schließlich aus, und ich schalte auf UKW Eins um, wo Oasis echt gut drauf ist und aller Welt erzählt, man solle nicht im Zorn zurückblicken.
»Angenommen«, ich sehe sie zusammenzucken und drehe die Lautstärke ein kleines bißchen runter, »mal angenommen, du könntest in der Zeit zurückgehen … was weiß ich, nach Dachau, Treblinka, Auschwitz, egal wohin. Was würdest du machen?«
»Was ich machen würde? Vergast werden, nehme ich an. Ich glaube nicht, daß man mir eine Wahl lassen würde.«
»Klar.«
Wieder Schweigen. Nicht mehr ganz so vertraut, aber noch freundlich.
»Glaubst du«, frage ich wieder, »daß wir jemals in die Vergangenheit reisen werden?«
»Nein.«
»Ist es wissenschaftlich unmöglich?«
»Nein, logisch.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja«, sagt Jane und setzt in eine wissenschaftlich und logisch unmögliche Parklücke zurück, »
wenn
es möglich wäre, dann wäre irgendwann in der Zukunft bereits jemand zurückgegangen und hätte Dinge wie den Holocaust verhindert, oder nicht? Und sie hätten den Amokläufer in Dunblane daran gehindert, aus allen Rohren feuernd in die Turnhalle reinzumarschieren. Und sie hätten die Büroangestellten im FBI-Gebäude von Oklahoma vor der Bombe gewarnt. Sie hätten Erzherzog Ferdinand geraten, seinen Besuch in Sarajewo abzusagen, Kennedy nahegelegt, einen geschlossenen Wagen zu nehmen, und Martin Luther King empfohlen, an jenem Tag im Haus zu bleiben. Meinst du nicht auch? Und als allererstes«, sagt sie und macht mit einer energischen Handbewegungdas Radio aus, »wären sie in das Manchester der Siebziger zurückgegangen, hätten die Brüder Gallagher nach der Geburt getrennt und die Bildung von Oasis verhindert.«
Ts! Manche Leute …
Double Eddie und James sind auf der Fete, ganz in Weiß und mit Lorbeerkränzen auf den Köpfen. Die Fete wird von Schnöseln geschmissen, und so sieht sie auch aus.
»Da ist ja Pupples!«
»Ähm … hi, ihr beiden. Kennt ihr Jane Greenwood schon?«
Nacheinander schütteln sie ihr feierlich die Hand.
»Hallo, Jane Greenwood. Mein Name ist Edward Edwards.«
»Und
ich
, ich bin James McDonnell. Nun weißt du’s.«
»Bist du etwa Puppys
Freundin
?«
Jane nickt schicksalsergeben.
Double Eddie legt ihr einen Arm um die Schulter. »Sag mal, der ist bestimmt
super
im Bett, was?«
»Ich hab immer noch eure CDs«, sage ich. »Muß ich euch bei Gelegenheit zurückgeben.«
»Ist er doch, oder? Ist er bestimmt! Oder nicht? Ich wette, er ist super. Komm, sag schon.«
Ich verziehe mich puterrot zur großen Punschfontäne und schenke mir ein Glas ein.
Wir gehen nach ein paar Drinks. Feten sind was für die Jugend.
Wieder zu Hause in der Onion Row, leistet Jane mir über der Kloschüssel Hilfestellung und sieht kühl und nicht besonders erheitert zu, wie ich geräuschvoll Würfel in Tunke huste.
»Ich fürchte«, sage ich und versuche, einen Speichelfaden auszuspucken, der wie ein Jo-Jo über der Brille tanzt, »ich brauche eine Schere, um das hier loszuwerden. Das muß irgendwer hinten in der Kehle festgeklebt haben.«
»Wenn du dich noch lange auf diese Weise räusperst, um es loszuwerden, dann wandere ich aus und komme nie wieder zurück«, sagt Jane. »Ich schick dir nicht mal ’ne Postkarte.«
»Das ist aber keine normale Kotze. Das ist ein Gummiband. Wie ein Bungee, weißt du. Kchkchkchja!«
Die Cappuccino-Maschinen-Imitation scheint zu helfen. Etwas Auswurf löst sich von meinem Zäpfchen, und der lange Faden verziert das Emaille. »Komisch«,
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