Geschichte machen: Roman (German Edition)
Donnerstag. Aber, Michael …
LEO legt seine Hand auf MICHAELs Arm.
LEO (fortgesetzt)
… Sie sollten sich darüber im klaren sein, was wir dabei aufs Spiel setzen.
MICHAEL
Darüber bin ich mir im klaren.
LEO
Nein, ich glaube nicht. Alles wird anders sein. Alles.
MICHAEL
Aber darum geht es doch gerade!
(aufgeregt)
Alles wird besser sein. Wir werden eine bessere Welt erschaffen!
LEO nickt und sticht mit der Gabel auf ein Spiegelei ein. Das Eigelb spritzt über den ganzen Teller.
LEO
Vielleicht.
SCHNITT AUF:
Außen Newnham – Morgen
MICHAEL kommt mit dem Fahrrad nach Hause. Er kommt am ZEITUNGSMÄDCHEN vorbei, das in großem Bogen um ihn herumfährt, sich richtig in die Kurve legt, um ihn zu vermeiden. MICHAEL lächelt in sich hinein. Er schließt die Haustür auf, geht hinein und zieht die Tür hinter sich zu.
SCHNITT AUF:
Innen Michaels Haus – Morgen
MICHAEL schiebt leise sein Fahrrad in die Diele und geht auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer.
Das Bett ist unberührt. MICHAEL ist sprachlos. Er tritt an einen Schrank und öffnet ihn. Leer.
Er geht ins Arbeitszimmer. JANEs Schreibtisch ist leer. An der Wand stehen aufeinandergetürmte Umzugskisten. Er starrt die Aufschriften an.
BITTE STEHENLASSEN: WIRD ABGEHOLT
MICHAEL rennt in die Küche. Auf dem Tisch lehnt ein ZETTEL an der Teekanne. NAHAUFNAHME des Zettels, auf dem in energischer Frauenschrift steht:
DIESMAL MEIN ICH’S ERNST
AUSBLENDE
Züge machen
Leo schlägt einen Bauern
Ich saß am Küchentisch und war erst mal fertig mit der Welt.
Ich blende das Hollywood-Drehbuch aus und fahre in dröger alter Prosa fort, weil sie meinem damaligen Gefühlszustand näherkommt. Am Ende fühlt man sich immer ziemlich prosaisch.
Ich hab’s schon mal gesagt und kann’s nur wiederholen: Die Literatur ist tot, das Theater ist tot, die Lyrik ist tot – es gibt nur noch Filme. Die Musik röchelt noch, weil man sie für den Soundtrack braucht. Vor zehn, fünfzehn Jahren wollte jeder Student der Geisteswissenschaften Romancier oder Dramatiker werden. Es sollte mich wundern, wenn Sie heute noch einen einzigen finden, dessen Ehrgeiz in diese Sackgasse weist. Heute wollen die doch alle Filme machen. Nicht etwa Filme schreiben. Filme schreibt man nicht. Man macht sie. Aber bei Filmen liegt die Meßlatte ganz schön hoch.
Wenn man die Straße langläuft, ist man in einem Film; wenn man Zoff hat, ist man in einem Film; wenn man vögelt, ist man in einem Film. Wenn man Kieselsteine über den Fluß flitschen läßt, eine Zeitung kauft, den Wagen parkt, bei McDonald’s ansteht, von einem Dach hinabschaut, einen Freund trifft, in der Kneipe herumflachst, mitten in der Nacht aufwacht oder sturzbetrunken ins Bett fällt – immer ist man in einem Film.
Aber wenn man allein ist, mutterseelenallein, ohne Requisiten oder Co-Stars, dann liegt man im Schneideraum auf dem Boden. Oder schlimmer noch, man ist in einem Roman; man steht auf der Bühne und steckt in einem Monolog fest; man ist in einem Gedicht gefangen. GESCHNITTEN worden.
Filme sind Action. In Filmen passiert etwas. Man ist, was man tut. Was in einem vorgeht, wird erst wichtig, wenn es in Handlung umgesetzt wird. Gestik, Mimik, Action. Man denkt nicht, man agiert und reagiert. Auf Dinge. Ereignisse. Man
bewirkt
Ereignisse. Man erschafft seine Vergangenheit und seine Zukunft. Man durchtrennt die Kabel und entschärft die Bombe, man schlägt den Bösen k. o., man rettet das Gemeinwesen, man wirft seine Dienstmarke in den Dreck und schreitet von dannen, man schließt sein Mädchen in die Arme, und dann wird ausgeblendet. Man muß nie nachdenken. Wenn einem der rettende Einfall kommt, schießen die Augen vielleicht zwischen dem Alien und den fauchenden Starkstromkabeln hin und her, aber nachdenken muß man nie.
Der vollkommene Bühnenheld ist Hamlet. Der vollkommene Filmheld ist Lassie.
Ihre Vergangenheit – oder
backstory
, wie das in Hollywood heißt – spielt nur insofern eine Rolle, als sie Einfluß auf die Gegenwart hat, das Jetzt, die Action Ihres Lebensfilms. Und wir alle leben heutzutage so. In kurzen Einstellungen. Gott ist nicht der Schöpfer des Himmels und der Erde, sondern der Drehbuchautor Ihres Biopics.
Sätze, die man immer in Filmen hört:
Halt die Klappe und tu, was ich dir sage.
Ich hab kein gutes Gefühl bei der Sache.
Gentlemen, wir haben da ein Problem.
Für Grundsatzdiskussionen hab ich keine Zeit.
Wird’s bald,
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