Geschichte machen: Roman (German Edition)
…«
»Ich weiß, was ich gesagt habe, Michael. Mein Vater war in Auschwitz. Er war bei der SS. Das ist die Last, mit der ich zu leben habe.«
Rauch machen
Der Franzose und der Helm des Obersten I
»Du bist einfach unverbesserlich, Adi«, lachte Hans Mend, zuckte die Schultern und gab sofort klein bei. »Ab sofort kauf ich dir alles ab. Schwarz ist weiß. Die Sonne geht im Westen auf. Äpfel wachsen an Telegraphenstangen. Dänemark ist die Hauptstadt von Griechenland. Ich schwöre, daß ich dir nie mehr widersprechen werde.«
»Was wahr ist, muß wahr bleiben«, sagte Adi selbstbewußt, steckte das Buch ein und machte einen Ausweichschritt, um neben Hans den Lattenrost entlanggehen zu können.
Sobald man mit seinen Ansichten nicht einverstanden ist, dachte Hans, holt er seinen blöden Schopenhauer raus.
Die Welt als Wille und Vorstellung
. Für Adi war das Buch der Weisheit letzter Schluß. Vor allen Dingen enthielt es Adis Lieblingswort »Weltanschauung«.
»Weißt du was?« sagte Adi. »Ich habe die Propagandabroschüren gelesen, die die Briten an ihre Truppen verteilen.«
»Aber du kannst doch gar kein Englisch!«
Adi tat das mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. Er wurde nur ungern an seine Bildungslücken erinnert. »Rudi hat sie mir übersetzt«, knurrte er.
»Ach so!« Rudolf Gloders Englisch war, wie alles an ihm, absolut makellos.
»Jedenfalls stellen die Briten uns Deutsche in ihren Pamphleten als Barbaren und Hunnen dar.«
»Uns Deutsche«. Wenn »Weltanschauung« Adis Lieblingswort war, dann war »wir Deutsche« seine Lieblingswendung. »Wir Deutsche glauben …« »Wir Deutsche werden uns niemals darauf einlassen …« Dabei war er selbst ein Wiener Schnitzel. Aber so seid ihr eben, dachte Hans, »ihr Österreicher«.
»Natürlich sagen sie das«, meinte er. »Das nennt man Propaganda.Was hast du denn erwartet? Daß sie uns mit Komplimenten überschütten?«
»Darum geht es überhaupt nicht. Natürlich ist alles gelogen, aber es ist psychologisch stichhaltig gelogen. Sie bereiten den britischen Soldaten auf die Schrecken des Krieges vor und helfen so mit, ihn vor Enttäuschungen zu bewahren. Wenn er an die Front kommt, sieht er, daß der Feind wirklich brutal und der Krieg wirklich die reine Hölle ist. Das stärkt einerseits den Glauben an die Richtigkeit der Behauptungen seiner Regierung und steigert andererseits Wut und Haß gegen den verruchten Feind. Also verdoppeln die Tommys ihre Anstrengungen. Was erzählt dagegen unsere Propaganda dem siegesgewissen deutschen Grünschnabel, der gerade erst eingerückt ist? Daß die Briten Hasenfüße sind, die man ohne weiteres zertreten kann. Daß die Franzosen keinerlei Disziplin kennen und ständig nur an Rebellion denken. Daß Foch, Pétain und Haig Schwachköpfe sind. Das ist genauso gelogen, aber psychologisch nicht stichhaltig. Wenn unsere Männer an die Front kommen, finden sie im Handumdrehen heraus, daß in der französischen Armee in Wirklichkeit sehr straffe Disziplin herrscht und daß die Tommys keineswegs Hasenfüße sind. Also ziehen sie den Schluß, daß Ludendorff ein Lügner ist und daß im Generalstab nur Gauner und Bauernfänger sitzen. Über kurz oder lang mißtrauen sie sogar der großen Phrase an allen Berliner Litfaßsäulen: ›Der Sieg wird unser sein.‹ Sie lehnen auch das als Schwindel und Krampf ab. Sie argwöhnen, daß der Sieg vielleicht nicht unser sein wird. Und schon kommt es zur Untergrabung des Willens und der Kampfmoral. Zum Defaitismus.«
»Kann schon sein«, sagte Hans verunsichert. »Aber du glaubst doch trotzdem, daß wir siegen werden.«
»Genau! Und
Glaube
ist gerade der springende Punkt!« Adi schlug sich mit der geballten Faust in die Hand, und seine Augen glänzten vor Begeisterung. »Der Wille führt zum Sieg! Der Defaitismus redet die Niederlage doch herbei!Den Kampfwillen stärkt man nicht, indem man schlechte Lügen erzählt, die jeder sofort durchschaut. Wir
werden
siegen, wenn wir siegen
wollen
. Wir Deutsche können alles, wenn wir nur daran glauben. Aber wir können auch ins Bodenlose fallen, wenn wir unseren Glauben verlieren. Es darf keinen Fußbreit Zweifel geben. Wir brauchen eine unerschütterliche Mauer des Glaubens, die stark genug ist, unser Deutschland sowohl gegen das feindliche Ausland als auch gegen die feigen Vorstöße der Pazifisten und Drückeberger in der Heimat zu verteidigen. Einheit ist alles, was wir brauchen. Wenn man selber nicht an die eigene Propaganda glaubt,
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