Geschichte machen: Roman (German Edition)
dumm verkaufen. Dünn, schmächtig, schwach, aber ausgekocht – reine Geistesringer. Bei denen muß man auf dem Quivive sein. Die störrische Verbissenheit der Schwachen ist standhafter als die Entschlossenheit der Starken.
»
Bullshit!
« schrie ich ihn an. »Sag ihr das, Bullshit. Wenn sie nach mir fragt, sag ihr das. Bullshit!«
Er nickte, das kalte Elfenbein seiner blutleeren Wangen bekam schmutzige, orangerosige Flecken.
Ich legte eine Hand auf eine Reihe säuberlich beschrifteter Reagenzgläser.
Erschreckt gab er einen erstickten Laut von sich.
Plötzlich sah ich alles in Zeitlupe. Ich sah, wie Donalds blaue Halsschlagader zuckte und er mich mit offenem Mund anstierte. Ich spürte, wie sich meine Armmuskeln für die Geste anspannten, mit der ich die Reagenzgläser auf den Laborboden fegen würde. Mein Blut rauschte in den Ohren, als es vom brodelnden Zorn in der Brust zum Gehirn hochgepumpt wurde.
Ich zog den Arm abrupt zurück, als hätte ich mich verbrannt. Donald schluckte trocken und rasselnd.
Im Kern war ich vielleicht ein knallharter Wichser, aber ich hatte eine weiche Schale. Ich brachte es einfach nicht übers Herz. Pfeifend verließ ich das Labor.
Leo tat, als hätte er nichts anderes erwartet.
»Sie wird Ihnen schreiben«, sagte er. »Darauf geh ich jede Wette ein.«
Er war in sein Fernschach vertieft, strich sich den Bart und runzelte die Stirn angesichts der vor ihm auf dem Brett aufgebauten Stellung. Nur noch die Könige, die Türme und ein paar Bauern.
»Immer noch dieselbe Partie?« fragte ich und zupfte am Roßhaar, das aus der Sessellehne quoll.
»Es kommt zur Krise. Endspiel. Das nennt man die Kammermusik des Schachs. Bei mir ist es eher Katzenmusik. Die richtigen Züge fallen mir schwer.«
Bleib bei deiner Physik, dachte ich und registrierte angewidert sein selbstgefälliges Lachen, und überlaß die Witze anderen.
»Gegen wen spielen Sie denn?« fragte ich.
»Sie heißt Kathleen Evans.«
»Physikerin?«
»Ja. Ohne ihre Arbeit hätte ich Tim nicht bauen können.«
»Sie weiß von Tim?«
»Nein, aber ich könnte mir vorstellen, daß sie mit ihren Kollegen in Princeton an einem ähnlichen Projekt arbeitet.«
»Princeton?«
»Am Institute for Advanced Studies. Hat nichts mit der Universität zu tun.«
»Egal. Ist doch gehupft wie gesprungen. Wenn ich von dem Ort bloß höre, kommt mir schon die Galle hoch.«
»Einstein ist nach Princeton gegangen. Und viele andere Emigranten auch.«
»Jane ist nicht emigriert«, sagte ich kalt, »sie ist desertiert.«
»Wissen Sie, Hitler hat da einen schweren Fehler gemacht«, sagte Leo und ließ sich von meinen Ressentiments nicht aus dem Konzept bringen. »An der Berliner Universität und am Göttinger Institut arbeiteten die meisten der Männer, die die moderne Physik aus der Taufe gehoben haben. Viele von ihnen sind nach Amerika geflohen. Deutschland hätte 1939 die Atombombe haben können. Vielleicht sogar früher.«
Ich erhob mich ungeduldig und überflog wieder einmal die Bücherwand. »Woran liegt es bloß, daß Juden so gute Naturwissenschaftler sind?« fragte ich.
»Die Hälfte der Naturwissenschaftler in Cambridge kommt heutzutage aus Asien. Inder, Pakistanis, Chinesen, Koreaner. Vielleicht hängt es mit der eigenen Unbehaustheit zusammen. Man hat keine kulturellen Wurzeln und keinen festen Platz in der Gesellschaft. Zahlen sind dagegen eine Weltsprache.«
»Was ist mit dieser Tussi in Princeton, mit der Sie Schach spielen, dieser Kathleen Evans? Der Name hört sich nicht besonders ausländisch an.«
»Sie ist Britin, also gilt sie in den Staaten fast schon als Alien.«
»Noch ein Deserteur.«
Das würdigte Leo keiner Antwort.
»Na ja«, meinte ich. »Zumindest sollten Sie sie im Schach schlagen.«
»Inwiefern?«
»Na, Sie Juden sind doch so toll im Schach. Weiß doch jedes Kind. Fischer, Kasparov
e tutti quanti
.«
»
Sie Juden?
« Leo sah überrascht vom Schachbrett hoch.
»Ach, kommen Sie.
Menschen jüdischen Glaubens
, wenn Ihnen das lieber ist.«
»Ach so«, sagte er leise. »Da liegt ein Mißverständnis vor. Aber das ist einzig und allein meine Schuld.« Er stand auf, trat zu mir vor das Bücherregal und legte mir eine Hand auf die Schulter. »Michael«, sagte er. »Ich bin weder Jude noch jüdischen Glaubens.«
Ich starrte ihn an. »Aber Sie haben doch gesagt …«
»Ich habe nie behauptet, ich sei Jude, Michael. Wann hätte ich das je gesagt?«
»Aber Ihr Vater. Auschwitz! Sie haben gesagt
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