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Geschichte machen: Roman (German Edition)

Geschichte machen: Roman (German Edition)

Titel: Geschichte machen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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be!
     
    Sonst ein ereignisloser, bitterkalter Tag.
     
    Hans sah von dem Buch hoch und runzelte die Stirn. Das englische Zitat verstand er nicht, obwohl er auf Shakespeare tippte, aber die Bemerkung über Bauerntrampel gefiel ihm ganz und gar nicht. Aber gut, es war damals wirklich bitterkalt gewesen, und jeder hatte mal einen schlechten Tag. Er blätterte zur Mitte des Buchs weiter.
     
    22. April 1918
    Endlich Frühling!
     
     
    Winterstürme wichen dem Wonnemond
    In mildem Lichte leuchtet der Lenz;
    Auf linden Lüften leicht und lieblich
    Wunder webend er sich wiegt;
    Durch Wald und Auen weht sein Atem,
    Weit geöffnet lacht sein Aug.
     
     
     
    In der Theorie schon. Die Winterstürme mögen gewichen sein, aber die Artilleriestürme sind uns geblieben. Und das milde Licht des Lenzes mag zwar auf linden Lüften leicht und lieblich leuchten, aber der Atem, der durch Wald und Auen weht, lacht nicht weit geöffneten Augs, sondern dräut finster, und seine entsetzlichen Gasschwaden ziehen über uns hinweg.
    Genau, wieder ein Gasangriff der Tommys. Zwei Gefallene heute vormittag, und Ernst Schmitt wurde verwundet. Mend und ich hechteten als erste nach Gasmasken, aber Schmitt mußte ja unbedingt noch oben bleiben und Alarm schlagen. Diese Unvernunft hätte ihn fast das Leben gekostet. Als ich sah, was er im Sinn hatte, sprang ich mit einer Maske für ihn wieder hinaus, rannte wie ein Tiger hierhin und dorthin, munterte die Mannschaften auf und sah nach den Verwundeten. Trotzdem heimste Schmitt die ganzen Lorbeeren ein, und ich war natürlich der erste, der ihn wie den treudoofen Dackel tätschelte, der er nun einmal ist. Außerdem versprach ich, seine »selbstlose Beherztheit« höheren Orts zur Sprache zu bringen. Sehr ärgerlich.
     
    Beim Weiterlesen wurde Hans das Herz schwer.
     
    Lief die Front entlang und gab die neuen Befehle über den Gebrauch von Grammophonen im Unterstand weiter. Unsere weisen Herren und Meister haben wahrlich einen Sinn fürs Wesentliche! Schmitts Tapferkeit ist überall das Hauptgesprächsthema. Und niemand preist ihn lauter als ich. Ich machte einen Witz über »Tommy’s ›Gift‹ of poison gas«, aber kaum jemand spricht genug Englisch, um das Wortspiel zu goutieren.
    Gute und schlechte Nachrichten. Die gute: Die Gerüchte verdichten sich, daß wir Armentières und die Hügelkette von Messines halten.Falls uns der Vorstoß gelingt, bevor sich die Amerikaner an der Westfront richtig eingenistet haben, könnte diese letzte Offensive glücken. Die schlechte Nachricht – leider kein Gerücht, sondern eine bestätigte Tatsache: Rittmeister von Richthofen ist gestern von einem kanadischen Milchgesicht abgeschossen und getötet worden. Wird sehr düster aufgenommen. Zwei Jahre lang habe ich den roten Freiherrn um die Verehrung beneidet, die man ihm entgegenbrachte, aber insgeheim habe ich es immer für falsch gehalten, daß Berlin den Mythos um seine Person noch kultiviert hat. Die Briten wollen ihn mit allen militärischen Ehren bestatten. Anscheinend wird angezweifelt, ob er wirklich von dem kanadischen Kampfflieger oder aber von australischen Maschinengewehren am Boden abgeschossen wurde. Er befand sich im Tiefflug.
    Im Kasino nach dem Essen Streit. Gutmann stellt sich als Wagner-Verehrer heraus, was ich schlechthin aberwitzig finde. Er postuliert abstruse und nach meinem Dafürhalten böswillig verzerrte Theorien über die Kompositionen. Er entdeckt in ihnen »psychische und politische Bedeutungsebenen«. Wie seine ganze Rasse weigert er sich anzuerkennen, daß ein Ding ein Ding ist. Daß ein Kunstwerk das bedeutet, was es sagt, und nicht mehr. Aber nein, er muß in jede Melodie seine überspannten Ideen hineinlesen. Ich wurde gereizt, und da ich die Langeweile des Obersten spürte, gönnte ich mir einen Streich auf Hugos Kosten. Ich sagte, er dürfe Mime und Siegfried nicht vergessen. Mime, der verwachsene kleine Nibelunge, der Siegfried lehrt, das Schwert zu schmieden, und die ganze Zeit seinen Verrat plant. (Gutmann war keineswegs entgangen, daß ich »Nibelunge« sagte, aber »Jude« meinte.) Der Jude Mime schmiedet Ränke, um Siegfrieds Furchtlosigkeit und Reinheit auszunutzen und so an den Ring und die Weltherrschaft zu gelangen. Und was wird aus Mime? Na, Siegfried erschlägt den Drachen, nimmt den Ring an sich und wendet das Schwert gegen Mime. Ha, ha! Es hat schon seinen Grund, daß der Name »Mime« fast wie »Memme« klingt, und man hat nie größere Feiglinge als die

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