Geschichte machen: Roman (German Edition)
gebleichter französischer Eiche stand. In vollkommener Fraktur hatte jemand die Worte eingeschnitzt:
Hans schmunzelte und klopfte leise.
Keine Antwort.
Er klopfte etwas lauter.
Noch immer kein fröhliches »Herein!«
Enttäuscht drückte Hans die schwarze Eisenklinke nieder und öffnete die Tür. Ohne klare Absichten betrat er den Raum und sah sich um.
Er stand in einem großen, rechteckigen Zimmer mit einer zweiten Tür, die in die angrenzende Schlafkammer führte. Es wollte Hans nicht in den Kopf, wie jemand diese fürstlichen Gemächer freiwillig für ein Feldbett im Unterstand hergeben konnte, aber Gloder war eben etwas Besonderes.
Er ging zum Schreibtisch, zog den Brief aus der Tasche und legte ihn mitten auf die schwere Schreibunterlage mit Lederecken. Dann trat er zurück und begutachtete sein Werk.
Das reichte nicht.
Er lächelte über sein kindisches Verhalten, griff nach einem silbernen Brieföffner und einem Füllfederhalter und arrangierte sie so, daß sie von links und rechts oben auf den Umschlag zeigten und riefen: ›Sieh mich an! Sieh mich an!‹
Es entsprach noch immer nicht seinen Vorstellungen.
Ein Bleistift von unten half, machte aber die Symmetrie kaputt.
Hans zog eine Schublade auf und suchte nach besseren Zeigegeräten. Er fand noch zwei Stifte, eine englische Handgranate,die sie Mills-Bombe nannten, wahrscheinlich eine Trophäe von Rudis waghalsigen Einsätzen, und eine geladene Luger. Vielleicht sollte er den Brief mit einem Kreis aus Patronen einfassen, mit den Spitzen zur Mitte. Das wäre doch eindrucksvoll.
Während er die künstlerischen Vorzüge dieser Lösung erwog, zog er die nächste Schublade auf. Sie enthielt ausschließlich Papiere und dahinter ein dickes Buch mit kostbarem Kalbsledereinband. Hans nahm es heraus. Er konnte sich nicht erinnern, je ein so schönes Buch gesehen zu haben. Schon dieses Gewicht und der Glanz, und dann der funkelnde Goldschnitt.
Das Buch wurde von einem goldenen Schnappverschluß zusammengehalten, in dem sich ein kleines Schlüsselloch befand. Mit rasendem Herzklopfen probierte Hans den Verschluß aus und fand ihn zu seiner Überraschung nicht abgeschlossen. Vielleicht ließ er sich auch gar nicht abschließen.
Behutsam blätterte Hans die Titelseite auf, als öffne er eine Gutenbergbibel.
Rudi schrieb Tagebuch! Gespannt blätterte Hans um. Oben auf die Seite hatte jemand zwei Musiktakte kopiert, und darunter standen die Worte:
Wagner, vermutete Hans. Ihr teutonischer Rudi, wie er leibte und lebte.
Er schlug eine Seite am Anfang des Buches auf. In kindlichem Überschwang hoffte er natürlich, selbst erwähnt zu werden, und sei es noch so kurz.
14. Januar 1917
Ich finde den Übergang vom Leutnant zum Oberleutnant nahezu bedeutungslos. Die wichtigste Hürde ist immer die nächste. »Hauptmann Gloder«. Das klingt doch gleich ganz anders. Immer noch neiden mir einige Offiziere meinen Aufstieg. Sollen sie doch. Gutmann, ist mir aufgefallen, ist der einzige, der mich als seinesgleichen ansieht, aber seine Motive liegen klar genug zutage. Der Jude schreckt vor nichts zurück, um sich in reinrassige Gesellschaft einzuschmeicheln. Auch betrachtet er mich auf beleidigende Weise als intellektuellen Mitstreiter. Seine Vorstellungen von Intellektualität unterscheiden sich indes gravierend von den meinen. Aber er kommt mir zupaß. Er hat sich eingehend mit Militärgeschichte beschäftigt, und ich bestärke ihn in dem Glauben, mich als seinen Freund ansehen zu dürfen.
Gestern sind vier Mitglieder eines Schanztrupps von Scharfschützen erschossen worden. Ich habe ihren Angehörigen in der Heimat Beileidsbriefe geschrieben, eine Pflicht, die mir zum ersten Mal oblag. Eckert zeigte mir den Standardbrief für solche Fälle, aber den fand ich allzu nichtssagend. Ich schrieb vier verschiedene und wunderschöne Briefe und erfand allen möglichen Blödsinn über die Heldentaten der vier toten Krieger. »Darf ich persönlich noch hinzufügen, daß Wolfgangs Verlust auch uns schwer erschüttert hat? Er war hier sehr beliebt. Sein Gottvertrauen, seine Tapferkeit, seine Lebenslust und seinen Charme kann uns niemand ersetzen, und sein Andenken ist uns heilig.« Abschließend Zitate von Goethe und Hölderlin. All das für ein paar Bauerntrampel, die zu dämlich waren, einer Kugel auszuweichen. Jeder dieser Briefe wird zweifellos goldgerahmt an irgendeine Wand gehängt. Wie Puck so trefflich sagt:
Lord, what fools these mortals
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