Geschichten aus der Murkelei
leckten ihre roten Mäuler mit ihren roten Zungen. Zu
Anna Barbara aber sprach Hans Geiz: »Das sind zwei rechte Hunde aus der Hölle, heißen Neid und Gier, mein Vater, der Teufel,
hat sie mir geschenkt. Nimmermüde passen sie auf, daß niemand mir mein armes bißchen Habe stiehlt, und außerdem sind sie mir
noch zu manchem andern Geschäfte gut. – Ihr Hunde«, sprach er und rieb sich fröstelnd die Hände, »seid doch wieder faul |87| gewesen. Kalt ist es in meiner Halle, wollt ihr wohl gleich heizen!«
Da setzten sich die Hunde Neid und Gier auf ihre Hinterteile, rissen die riesigen Mäuler weit auf – und sofort schlugen große
Flammen daraus. Denn die Hunde konnten, wenn sie es wollten, blankes Feuer atmen.
»So«, sprach Hans Geiz und rieb sich zufrieden die knochigen Hände, daß sie knackten. »Nun werden wir es gleich warm haben.
Ja, man sollte es gar nicht glauben, wie solch Höllenhund Neid oder Gier einem einheizen kann – aber es ist so! – Komm, jetzt
wollen wir etwas essen.«
Damit ging Geiz tiefer in die Halle, die von einem sanften grünen Licht erfüllt war. Zuerst konnte Anna Barbara nicht erkennen,
woher das Licht kam, dann aber merkte sie, daß es von vielen hunderttausend Glühwürmchen ausströmte, die unter der Decke saßen
und leuchteten.
»Du siehst dir meine Beleuchtung an«, sprach Hans Geiz zufrieden. »Ja, das ist auch eine praktische Sache. Bei mir wirst du
dir die Hände nicht schmutzig machen mit Lampenfüllen und -putzen. Es sind aber auch alles bewährte, alte Glühwürmchen hier,
die mit ihrem Irrlichterieren schon manchen Menschen vom Wege ab und in den Sumpf geführt haben.«
Der Anna Barbara wurde es immer angstvoller zumute, sie dachte bei sich: Dieser Hans Geiz ist ja ein ganz schlechter Kerl,
der kann doch unmöglich den schönen goldenen Taler in Verwahrung haben, nach dem Großmutter und Mutter ihr Lebtage gesucht
haben! Ach, ich wollte, ich hätte nie diesen Dienst angenommen – hier, in dieser Erdhöhle, in die nie die Sonne scheint, in
der kein Blümlein wächst und kein Vogel singt, halte ich es nie drei Jahre aus! – Und voller Schrecken sah sie auf das alte,
verschimmelte, zerfallende Gerümpel, das an den Wänden der Halle lag.
Das war aber wirklich ein seltsamer Raum, durch den die kleine Anna Barbara mit ihrem Führer ging! Unendlich lang |88| schien die Halle zu sein, und so weit sie schon gegangen waren, es war immer noch kein Ende abzusehen, und der Eingang, von
dem sie kamen, war doch schon so entfernt, daß die beiden Höllenhunde, die groß waren wie die Kälber, jetzt so klein aussahen
wie Kätzchen. An den Wänden dieser Halle aber lag zu Bergen aufgehäuft alles alte Zeug, das man sich nur denken kann: Berge
zerrissener Schuhe, Türme aus alten Matratzen, denen die Wolle aus dem Bezug hing, Pyramiden von alten Flaschen, und so tausenderlei
Zeugs mehr – vor allem aber Papier über Papier.
»Jaja, da staunst du, Anna Barbara«, kicherte der Hans Geiz. »Das bringe ich alles von meinen Fahrten über Land mit. Ich bin
kein ganz armer Mann mehr. Schöne Sachen sind das!« Er grinste und fletschte dabei seine langen, gelben Zähne, daß die Anna
Barbara schon wieder ein Grausen ankam. »Die Leute denken, sie brauchen die Sachen nicht mehr, tun sie weg und vergessen sie.
Aber ich bewahre alles auf, denn nichts wird vergessen auf dieser Welt. Das sind Stiefel, mit denen sie einander getreten,
Matratzen, auf denen sie faul gewesen sind, Flaschen, aus denen sie einander ›Prost, Gesundheit!‹ zugetrunken haben und im
stillen sich doch alles Schlechte wünschten, und dies ist alles Papier von der Welt, auf dem sie einander bewiesen haben,
daß weiß schwarz und Recht Unrecht ist.«
Immer stiller wurde Anna Barbara, traurig ging sie weiter. Es war der erste Abend im neuen Dienst, und doch wäre es ihr am
liebsten der letzte gewesen; sie meinte, ihr Herz müßte brechen in den drei Jahren, die vor ihr lagen.
»So, nun wollen wir etwas Schönes essen«, sprach Hans Geiz und fing an, in seinen Taschen herumzusuchen. »Warte, ich habe
uns etwas Gutes mitgebracht.«
Sie waren in eine kleine Nische an der Hallenwand gekommen, wie ein Stübchen, dessen Wände freilich nur aus schweren, eichenen
Türen bestanden, mit dicken eisernen Beschlägen und schweren stählernen Riegeln und großmächtigen |89| Vorlegeschlössern. Anna Barbara wunderte sich, was wohl hinter diesen drei Türen stecken möchte.
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