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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Moses’ Antwort.
    Aaron war von Anfang an ein loyaler Bruder, er glaubte Moses jedes Wort, und er war auch ein gottesfürchtiger Mann, glaubte an den Gott seiner Väter und Vorväter. Aber er war auch der Meinung, daß Religion Privatsache sei. Daß sich nun sein Gott über seinen Bruder Moses in die Angelegenheiten des Staates Ägypten einmischte, brachte ihn in Verwirrung und Konflikt.
    »Und du irrst dich bestimmt nicht?« fragte er.
    »Wie sollte ich mich irren«, sagte Moses. »Ich habe seine Stimme gehört.«
    »Und Gott hat ausdrücklich von Knechtschaft gesprochen?«
    »Gott hat mir den Auftrag gegeben, ich soll das Volk Israel aus Ägypten herausführen, und ich soll es in ein Land führen, in dem Milch und Honig fließen. Warum sollte ich unsere Leute in ein Land führen, das niemand kennt, wenn hier nicht Knechtschaft herrschte?«
    »Das ist allerdings richtig«, sagte Aaron langsam.
    Es stimmt, vom ersten Augenblick an hatte sich Aaron seinem jüngeren Bruder bedingungslos untergeordnet. Und das ist durchaus verwunderlich. Legte Aaron als Mann des Gesetzes doch besonderen Wert auf seine Unabhängigkeit. Die Kommentatoren und Erzähler haben erst gar nicht versucht, für diese plötzliche Gesinnungsänderung einen anderen Grund zu nennen als den, daß Gott selbst den Charakter Aarons zurechtgerückt habe, damit er seine künftige Aufgabe, nämlich der Adlatus seines Bruders Moses zu sein, optimal erfülle.
    Diese Argumentation mißfällt mir aber. Sie gibt der Erzählung eine Option der Beliebigkeit. Deshalb will ich umgekehrt vorgehen und behaupten, nein, Gott hat Aarons Charakter nicht verändert, das war gar nicht nötig. Bedingungslose und absolut zweifelsfreie Loyalität entsprach ganz und gar Aarons Charakter. Sie hatte bisher allerdings einer abstrakten Instanz, nämlich dem Gesetz, gegolten. Seine Verehrung des Gesetzes beinhaltete ein riesiges Potential an Glauben, und dieses Potential gab er nun Moses. Das Wort des Bruders machte er zu seinem Gesetz. Das hatte die Kraft des Moses bei Aaron bewirkt, der Kraft des Moses ordnete sich Aaron unter.
    Woher aber kam diese Kraft? Noch am Ende des vorangegangenen Kapitels begegnete uns Moses als ein Müßiggänger, als ein zum Mäkeln und zur Besserwisserei neigender alter Mann.
    Moses hatte eine schwere Prüfung hinter sich, die vielleicht schwerste Prüfung, die einer Seele auferlegt werden kann: Er war durch die Hölle gegangen. Und seine Hölle war leer. Und seine Hölle war in seinem Herzen. Er hatte Jahrzehnte diese Leere in sich gehabt, ohne sich ihrer voll bewußt zu sein. Er hatte es vermieden, in ihren Abgrund zu schauen, hatte sich auf seinen Wanderschaften abgelenkt. Und dann, in der Wüste, beim brennenden Dornbusch, hatte ihm Gott diese Leere in ihrem ganzen Grauen vor Augen geführt. Und Moses hatte Gott in sich aufgenommen. Und nun war er ganz ausgefüllt von der Stärke Gottes.
    Das wußte Aaron alles nicht. Er stand einem Menschen gegenüber, von dem eine Kraft, ein Wille, eine Überzeugung ausging, wie er esnoch nie erlebt hatte.
    »Was habe ich zu tun?« fragte er seinen Bruder.
    Moses sagte: »Ganz gleich, was für ein Geschäft du betreibst, Aaron, gib es auf!«
    »Ich bin Richter«, sagte Aaron stolz.
    »Von nun an wirst du an meiner Seite stehen«, sagte Moses. »Ich gebe die Gedanken, du machst die Worte daraus.«
    So geschah es.
    Ausgelöst durch Moses’ Ankunft entstand innerhalb des Volkes Israel eine merkwürdige politische Situation. Da kam ein Mann aus der Wüste, ein Mann, den niemand kannte, stellte sich hin und sagte: »Ich befreie Israel von der Knechtschaft Ägyptens.«
    Das war nun genau das, was die Führer Israels selbst immer gepredigt hatten – Befreiung, Aufstand. Und je weniger das Volk eingesehen hatte, wovon es eigentlich befreit werden und wogegen es sich eigentlich erheben sollte, desto radikaler hatten die Führer agitiert, desto überzeugter waren sie von sich selbst gewesen, desto fanatischer hatten sie ihre Mission betrieben.
    Und nun kam einer, der sagte dasselbe wie sie, aber seine Augen glühten dabei mehr als ihre, und seine Schultern strafften sich dabei mehr als die ihren. Ohne jede Rücksprache mit ihnen stellte sich dieser Mann an die Spitze des Volkes. Woher nahm er sich das Recht? Wie sollten sie gegen ihn auftreten? Wenn sie ihn einen Lügner nannten, dann machten sie sich selbst zu Lügnern. Wenn sie ihn gewähren ließen, würde ihr letzter Einfluß bald dahin sein.
    »Du willst das

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