Geschichten von der Bibel
machte sich auf den Weg zum Tempel der Juden.
Sie stellte sich vor die Tür und rief: »Hörst du mich, Jahwe! Du hast mir alles genommen, und ich will dir alles geben!«
Die Tempeldiener kamen gelaufen und jagten die Frau davon, und ihre Habe warfen sie ihr hinterher.
Da verbrannte die Frau das Bild mit der Katze, den Kamm mit den fehlenden Zacken, das Zepter aus dem Besenstiel und den purpurnen Königsmantel aus dem Leintuch von ihrem Bett.
Und sie riß sich die Kleider vom Leib und die Haare vom Kopf und rief zum Tempel Jahwes und zum Palast des Pharaos: »Ich habe nichts mehr als mich selbst. Zerreißt mich, und teilt mich unter euch auf!«
Sie wartete auf dem Platz. Aber weder Jahwe noch der Pharao wollte sie haben. Sie stand länger, als diese Geschichte dauert, sie wurde zu Stein, und im Märchen heißt es, der Stein war härter und schwerer als alle Steine, und er ließ sich nicht wegtragen und ließ sich nicht zerschlagen, und darum steht er noch heute am selben Ort.
In der Nacht erschien Gott dem Moses noch einmal.
»Ihr sollt ein Fest feiern«, sagte er. »Ihr sollt ein fehlerloses, männliches einjähriges Lamm schlachten und verzehren. Das Blut dieses Lammes, das sollt ihr an die Türpfosten eurer Wohnungen streichen. Denn wenn in der Nacht der Würger kommt, dann wird er jene Häuser verschonen, an denen das Blut des Lammes zu sehen ist.«
Und wieder ließ ihn Gott allein, noch ehe Moses ein Wort gefunden hatte.
Und dann, um Mitternacht, ging der Würger durch die Städte und Dörfer Ägyptens, und alle Erstgeborenen wurden getötet, Mädchen, Knaben, Frauen, Männer. In der Bibel wird dieses Grauen recht lakonisch abgehandelt. Aus den Sagen aber, die sich um das Buch der Bücher ranken, erfährt man manche Einzelheit.
Da gab es einen Mann, der erhob nach dieser Nacht Klage, er sagte: »Ich hatte in meinem Leben fünf Frauen, und alle meine Frauen haben mir einen Sohn geboren. Für mich gab es nur einen Erstgeborenen. Für meine Frauen aber war jeder ihrer Söhne ein Erstgeborener. Alle meine Söhne sind mir genommen worden.«
Und er klagte über die Grausamkeit, und die Grausamkeit war noch schlimmer für ihn zu ertragen, weil sie ihn schlimmer getroffen hatte als die anderen.
Eine Frau führte Klage, die sagte: »Ich hatte fünf Männer, und von jedem dieser Männer habe ich einen Sohn empfangen. Für mich gab es nur einen Erstgeborenen, für meine Männer aber war jeder meiner Söhne ein Erstgeborener. In dieser Nacht sind mir alle fünf Söhne genommen worden.«
Es gab Familien, deren Erstgeborener war bereits gestorben, vielleicht schon vor Jahren und auf natürliche Weise. Da hat Gott diese Erstgeborenen zum Leben erweckt.
Sie kamen in die Häuser ihrer Eltern, sie traten auf die Mutter zu und sagten: »Kennst du mich? Ich bin wieder am Leben!«
Traten auf den Vater zu und sagten: »Kennst du mich? Ich bin wieder am Leben!«
Und Vater und Mutter umarmten ihre Söhne, umarmten ihre Töchter. Und dann sanken die Söhne, dann sanken die Töchter nieder und wurden ihren Eltern ein zweites Mal genommen. Denn keine Mutter, kein Vater sollte sagen dürfen: Mein Erstgeborener ist in dieser Nacht verschont worden.
Auch die Söhne der Minister, die von ihren Vätern vor den Augen des Pharaos getötet worden waren, standen aus ihren Gräbern auf.
Und sie schleppten ihre Väter vor den Pharao und sagten: »Wir erheben Anklage gegen dich, Pharao, wir erheben Anklage gegen euch, unsere Väter!«
Da haben die Väter ein zweites Mal zu ihren Schwertern gegriffen und haben ihre Söhne noch einmal getötet.
Aber die Söhne sind noch einmal von den Toten auferstanden, und zwar nur, um sogleich wieder niederzusinken. Denn kein Vater sollte sagen dürfen: Mein Erstgeborener ist in dieser Nacht vom Würger verschont worden.
Als er genug getötet hatte, brach Gott in die Tempel der Ägypter ein und stürzte die Götzen um und zertrat die Bilder, zerrieb die Statuen zu Sand und blies den Sand in die Wüste.
Aber immer noch war es nicht genug. Denn einen Erstgeborenen gab es noch, nämlich den Sohn des Pharaos. Er war das Liebste, was der Pharao besaß. Wenn es etwas in seinem Leben gab, das sein hartes Herz weich stimmen konnte, dann war es der Anblick seines Sohnes.
Der Pharao führte seinen Sohn in das innerste Gemach des Palastes, dort gab es keine Fenster, er stellte sich vor ihn, umarmte ihn, weil er dachte, so könne er ihn vor dem Würgegriff Jahwes bewahren. Aber Gott senkte Verzweiflung
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