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Geschichten von der Bibel

Geschichten von der Bibel

Titel: Geschichten von der Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Moses.
    »Bist du immer noch bereit, alles zu tun, um mir deine Treue zu beweisen?«
    »Ja«, sagte Moses. »Ich will alles tun, um dir meine Treue zu beweisen. Aber ich möchte nach dem Sinn fragen dürfen.«
    Gottes Stimme räusperte sich.
    »Gut«, sagte er. »Gut. Dann wollen wir diesmal den Besuch beim Pharao sein lassen. Geh in die Stadt, stelle dich auf die Straßen und Plätze und verkünde: Jahwe wird in der Nacht kommen als Würger, und er wird den Ägyptern jede Erstgeburt nehmen. Verkünde das!«
    Da erschrak Moses. Und die Worte wollten ihm nicht in den Mund. Und als ihm endlich die Worte in den Mund kamen, redete er gegen eine Wand. Denn Gott hatte ihn verlassen.
    »Ich bin allein«, sagte Moses. »Ich bin allein.«
    Und es war ein anderes Alleinsein als damals in der Wüste, bevor er den brennenden Dornbusch gesehen hatte. Damals war das Alleinsein aus Leere gemacht, die Leere hatte ihn ausgehöhlt, so daß von ihm selbst nur noch eine Hülle übrig war. Nun aber war sein Alleinsein eine Folge der Inbesitznahme seiner Seele durch Gott, und von ihm selbst war kaum mehr übrig geblieben als nichts.
    Moses hätte gern mit seinem Bruder Aaron gesprochen, hätte ihn um seinen Rat fragen wollen. Er tat es nicht. Er wußte, was Aaron dachte. Daß Gott alle Prinzipien von Recht und Gesetz brach, das dachte Aaron. Aber Moses wußte auch, daß sein Bruder seine eigenen Gedanken verurteilte, daß er, seit ihn Gott zum Sprachrohr seines Bruders gemacht hatte, Recht und Gesetz dem Willen Gottes unterordnete. Und Moses wußte auch, daß sich Aaron bemühte, aus Gottesliebe manche Fragen nicht zu stellen, die aus Menschenliebe dringend gestellt werden wollten. Und Moses wußte, daß Aaron unter diesem Konflikt litt, weil eine Antwort, ganz gleich, wie sie ausfiele, immer sein ganzes Leben in Frage stellen würde. Moses wollte diesen Konflikt in der Seele seines Bruders nicht noch verschärfen.
    Und Mirjam? Mirjam hatte ein neues Betätigungsfeld gefunden. Sie pflegte die Armen, die Kranken, die Elenden. Sie gab all ihre Kraft. Wenn mich einer fragt, auf welcher Seite ich in dieser Angelegenheit stehe, kann ich mit ruhigem Gewissen sagen, auf der Seite all derer, die Hilfe brauchen. So dachte Mirjam. Nannte die Plagen, die Gott über das Land geschickt hatte, die so viel Leid gebracht hatten, die schuld daran waren, daß sie bis an die Grenzen ihrer Kraft Arme, Kranke, Elende, Verzweifelte pflegen mußte, nannte die Tragödie der Völker Israels und Ägyptens eine Angelegenheit. Mich interessiert nicht, wer schuld ist, dachte sie. Wer bin ich denn? Eine alte Frau. Sonst nichts. Niemand interessiert sich für meine Meinung. Also habe ich keine Meinung. Meine Meinung liegt in meinen Händen, und meine Hände äußern ihre Meinung, indem sie helfen. So dachte die Schwester des Moses. Und Moses wußte, genau so würde sie mit ihm sprechen, wenn er sie besuchte, um von ihr einen Rat zu erbitten.
    »Ich bin allein«, sagte Moses zu sich selbst, und er sagte es laut.
    Es war niemand da, der es hörte. Kein Mensch, kein Engel, kein Gott.
    Also begab sich Moses hinunter in die Stadt, stellte sich auf die Straßen und Plätze und erfüllte mit schwerem Herzen den Auftrag Gottes.
    »Ägypter«, rief er, »Ägypter, hütet euch! Mein Gott Jahwe, der so viel Leid auf unser Land geschickt hat, weil der Pharao sich gegen seinen Willen stellt, mein Gott Jahwe wird in der Nacht kommen, und er wird ein Würger sein, und er wird töten jeden Erstgeborenen und jede Erstgeborene aus eurem Volk.«
    Da brach Panik aus. Erwachsene Söhne flohen in die Arme ihrer Mütter. Erwachsene Töchter krochen in die Betten ihrer Eltern. Und es gab keine Familie, in der nicht geweint wurde.
    Die Söhne der Minister flehten ihre Väter an: »Ihr habt Einfluß«, sagten sie. »Wenn jemand noch Einfluß hat auf diesen sturen, bösen, unbeugsamen alten Mann im Pharaonenpalast, dann seid ihr es. Sprecht mit ihm, sagt, er soll nachgeben, er soll das Volk Israel endlich ziehen lassen!«
    Die Minister eilten zusammen mit ihren Söhnen in den Palast. Der Pharao saß auf seinem Thron, das Unglück hatte ihn häßlich gemacht, seine Haut war wie Holz, sein Mund wie ein Kieselstein, grau, hart, kalt.
    »Was wollt ihr?«
    Er blickte seinen Leuten nicht mehr in die Augen.
    »Der Gott Israels«, sagten die Minister, »wird in der Nacht kommen und alle Erstgeburt erwürgen. Dies hier sind unsere Söhne, der Stolz des Landes. Willst du, daß sie nicht getötet werden,

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