Geschichten von der Bibel
ihm weh, seinen liebsten Bruder zu sehen. Er sah, daß Benjamin gerecht geblieben war. Das drückte sein Herz so sehr, daß er hinausgehen mußte und draußen weinte.
Während des Gastmahls sagte Josef kein Wort, und auch die Brüder trauten sich nicht zu sprechen.
Dann sagte Josef: »Na gut. Jetzt dürft ihr nach Hause ziehen. Ich werde euch Korn geben. Weil ihr einen Gerechten bei euch habt, Benjamin, werde ich ihm soviel Korn mitgeben, als wäre er fünf.«
Er ließ die Lasttiere der Brüder mit Säcken voll Korn beladen. Mehr als erlaubt war. Und er kam persönlich, um sich zu verabschieden.
»Warum bist du so zu uns?« fragte Ruben.
Josef antwortete nicht. Tat so, als hätte er ihn nicht verstanden.
Und dann schmuggelte er seinen goldenen Becher in den Getreidesack des Benjamin. Und als die Brüder unterwegs waren, schickte ihnen Josef die Wache nach. Die Brüder wurden aufgehalten.
»Wir werden euch jetzt durchsuchen!« hieß es.
»Einer von euch ist ein Dieb! Er hat es gewagt, unserem Vizekönig seinen goldenen Becher zu stehlen!«
Ruben, der älteste der Brüder, sagte: »Was denkt ihr? Das würden wir doch niemals tun. Ich meine, wir sind vielleicht nicht so reich wie ihr, aber wir sind doch keine Verbrecher! Dieser Mann war gut zu uns. Das werden wir ihm doch nicht mit einem Diebstahl vergelten!«
Die Wachen fanden bei Benjamin den Becher.
Da schlugen die Brüder auf Benjamin ein und schrien ihn an: »Bist du denn verrückt? Weißt du denn nicht, was jetzt mit uns geschieht? Dieser Mann ist so unglaublich mächtig, er wird uns vernichten, alle!«
Ruben stellte sich vor Benjamin und sagte: »Tut es nicht noch einmal, Brüder! Nicht noch einmal! Denkt an Josef! Wir werden gemeinsam zum Vizekönig gehen, und die Sache wird sich aufklären.«
Das taten sie. Sie gingen gemeinsam zu Josef, und genau so, wie Josef vor vielen Jahren geträumt hatte, so stellten sich nun die Brüder um ihn herum auf – wie die Weizengarben – und fielen vor ihm auf den Boden, lagen da und baten ihn um Vergebung, sagten, es sei ein Versehen gewesen, Benjamin sei kein Dieb, es müsse ein Versehen sein.
Josef sagte: »Ich werde Benjamin bei mir behalten, er hat mir den Becher gestohlen. Ihr anderen könnt gehen.«
Da trat Ruben vor und sagte: »Das kannst du nicht machen, das wird unser alter Vater nicht überleben. Laß Benjamin ziehen, nimm mich, steck mich in das finsterste Loch. Töte mich! Ich kann nicht zulassen, daß dieser Schmerz meinem alten Vater angetan wird. Er wird es nicht überleben, wenn Benjamin hierbleibt.«
Da konnte sich Josef nicht mehr zurückhalten, und er begann zu weinen. Er konnte nicht sprechen. Die Brüder dachten, jetzt ist er tatsächlich verrückt geworden, jetzt haben sie es mit einem Verrückten zu tun, mit einem ganz und gar Unberechenbaren.
»Er kann jeden Augenblick Befehl geben, uns zu töten«, sagten sie, meinten sie doch, der Vizekönig könne sie nicht versehen.
Da nahm Josef den Schleier ab und sagte: »Ist es denn wahr? Lebt unser Vater noch?«
Er sprach mit ihnen Hebräisch, er brauchte keinen Dolmetscher mehr. Er gab sich als ihr Bruder zu erkennen. Die Brüder fielen wieder vor ihm nieder. Wie er es geträumt hatte.
Josef umarmte seinen Bruder Benjamin, drückte ihn an seine Brust, und den Brüdern gab er Bruderküsse und sagte, daß er ihnen verziehen habe. Er sagte, sie sollen heimkehren nach Kanaan, und sie sollen Jakob holen, sie sollen ihn holen, er und sein Volk könnten hier in Ägypten in Ehren und Wohlstand leben.
Die Brüder machten sich auf den Weg nach Hause, und da erinnerten sie sich daran, was einst Sara passiert war, der Frau des Abraham, nämlich daß sie nicht gestorben war, als sie erfuhr, daß ihr Sohn Isaak getötet worden sei, sondern erst, als sie erfahren hatte, daß er doch noch lebte. Sie fürchteten, daß Jakob sterben könnte, wenn sie ihm nun erzählten, daß Josef, sein Liebling, noch am Leben sei, daß er der mächtige Vizekönig von Ägypten sei.
Da war einer der Brüder, nämlich Ascher, der hatte eine Tochter, die konnte sehr schön singen, und sie kamen überein, sie solle ein Lied schreiben, ein Lied, in dem erzählt wird, daß ein Sohn lebt, der Josef heißt, und daß sich ein Vater freut, der Jakob heißt. – Und so haben sie es gemacht. Sie schickten Aschers Tochter voraus, und die sang ihrem Großvater etwas vor.
Und Jakob? Dankbar und glücklich fiel er auf die Knie, dankte Gott, war mit allem einverstanden, war auch
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