Geschlossene Gesellschaft
mögliche Bedeutung dessen abzuschätzen, Mr. Duggan«, erwiderte er. »Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich habe den deutschen Botschafter, Fürst Lichnowsky, getroffen, bevor er heute Morgen London verlassen hat, und ihn gebeten, seiner Regierung vorzuschlagen, gemeinsam mit uns eine Verlängerung der Frist des Österreich-ungarischen Ultimatums zu erreichen, damit geeignete Vorbereitungen für eine internationale Vermittlung in dem Streit getroffen werden können.«
»Sie werden sich niemals einigen.«
»Warum nicht? Es ist ein sehr vernünftiger Vorschlag.
»Weil die Concentric Alliance überall Agenten hat. Sie werden dafür sorgen, dass nichts dabei herauskommt«
»Oh, lieber Mr. Duggan. Sie sollten wirklich nicht so misstrauisch sein. Überlassen Sie das denen, die mit solchen Dingen vertraut sind. Sie werden Sie nicht im Stich lassen.«
Vermutlich habe ich gewirkt, als wäre ich verrückt oder zumindest getäuscht worden. Ich redete von einer Organisation, von der er überhaupt nichts wusste, die aber überall ihre Finger im Spiel hatte. Nun, das ist der Stoff, aus dem Paranoia besteht, nicht wahr? Aber er war freundlich und überaus höflich. Er schlug vor, dass ich in dem Dorfgasthof übernachten und am nächsten Morgen wieder vorbeikommen solle. Bis dahin hoffte er, gute Nachrichten für mich zu haben. Er verabschiedete mich mit einem Lächeln und schwenkte seinen Hut.
Ich folgte seinem Vorschlag, denn mehr konnte ich auch nicht tun. Anscheinend war meine beste Chance, in seiner Nähe zu bleiben. Doch selbst das war nicht sehr vielversprechend. Das wurde mir immer klarer, während ich abends in der Plough Inn in mein Bier starrte und dem unschuldigen Klatsch der Landbevölkerung zuhörte. Niemand erwähnte Sarajevo oder das Ultimatum, das Serbien vermutlich schon abgelehnt hatte.
Früh am nächsten Morgen ging ich zurück zum Landhaus. Sir Edward wirkte anders, ernsthafter, besorgter. »Es scheint so, als sei mein Vorschlag abgelehnt worden, Mr. Duggan«, bekannte er. »Genauso wie Serbiens Antwort auf das Ultimatum. Österreich-Ungarn hat die diplomatischen Beziehungen abgebrochen und macht angeblich mobil. Aber keine Angst. Ich habe grade mit meinem stellvertretenden Minister telefoniert. Er wird sich an alle europäischen Staatsoberhäupter wenden mit dem Vorschlag, eine Konferenz aller Botschafter in London zu diesem Thema einzuberufen.«
»Noch ein Vorschlag ?« Ich konnte meine Bitterkeit nicht verbergen.
»Das ist alles, was wir tun können«, gab er zurück. »Ich werde heute Nachmittag nach London zurückkehren und mich mit ganzer Kraft darum bemühen, eine Einigung zu erzielen.«
»Und die Concentric Alliance?«
»Diese Idee kann ich leider nicht teilen. Tut mir leid, Mr. Duggan.«
Ich verließ ihn wie betäubt und nahm den ersten Zug zurück nach London. Sir Edward hatte nicht begriffen, er ließ die Sache zu langsam anlaufen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie uns das aus dem Netz befreien sollte, das Charnwood gesponnen hatte. Ich ging vom Bahnhof Waterloo direkt zur Shoe Lane. Dort würde ich die neuesten Entwicklungen am besten mitbekommen. Aber niemand beim Topical wusste mehr, als mir Sir Edward bereits erzählt hatte. Eine Neuigkeit jedoch gab es. Jemand hatte mehrere Male versucht, mich anzurufen. Er hatte weder seinen Namen noch eine Nachricht hinterlassen, nur eine Nummer. Die von der Börse. Er hatte also vom Geschäftsviertel aus angerufen, das an einem Sonntagnachmittag eigentlich ausgestorben sein sollte. Doch als ich dort anrief, nahm jemand den Hörer ab. Eine anonyme männliche Stimme antwortete mir mit kaum vernehmbarem Flüstern.
»Sie haben sich nach Fabian Charnwood erkundigt, soweit ich weiß«, sagte er. »Und nur wenig Antworten bekommen. Ich kann Ihnen welche geben. Zu einem bestimmten Preis.« Ich wollte wissen, wer er war. »Keine Namen, kein Dienstgrad. Aber ich habe eine Menge... zirkulierendes Wissen, Sie verstehen, was ich meine ?« Ich bejahte und fragte, ob wir uns treffen könnten. »Im Musikpavillon von Clapham Common. Um elf Uhr heute Abend. Wenn Sie interessiert sind, kommen Sie.«
Also ging ich hin. Und Sie können sich denken, was passiert ist, nicht wahr? Eine finstere Gestalt mit tief ins Gesicht gezogenem Hut wartete dort auf mich. Er forderte mich auf, ihm zu einem ruhigen Ort zu folgen. Dann führte er mich in die Büsche. Dort wurde ich plötzlich von zwei Männern gepackt und festgehalten. Ein dritter zog mir die Hosen
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