Geschlossene Gesellschaft
andere auch, nehme ich an.« Er schaute mich scharf an, offensichtlich wusste er nicht genau, ob ich das ernst meinte oder nicht. Dann grunzte er und ging weiter. »Er hat mich überzeugt. Vielleicht habe ich es mir auch selbst eingeredet. Das macht jetzt keinen Unterschied mehr. Ich entschied, meinen Teil für die Menschheit beizutragen. Charnwood war die Schlüsselfigur. Und er befand sich in England. Also verließ ich am nächsten Tag Wien Richtung Heimat. Ich hoffte, meinen Verleger von meiner Einschätzung überzeugen zu können, und hoffte auch, in den wenigen Tagen genug zu entdecken, um die Verschwörung aufzudecken.
Ich erreichte London am Donnerstagnachmittag, ein paar Stunden bevor das Ultimatum übergeben werden sollte. Ich ging direkt in den Hauptsitz des Topical in der Shoe Lane und bekam gegen 16 Uhr einen Termin mit dem Herausgeber, Jack Glenister. Er wollte wissen, warum ich Wien verlassen hatte, und ich erzählte es ihm. Alles, die ganze Geschichte. Die vollständige unbeweisbare Beschuldigung. Bis auf Broschs Namen. Nun, ich konnte sehen, dass er es nicht glaubte. Und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln, wie er da in seinem gemütlichen Fleet-Street-Büro saß. Ich tat alles, um ihn zu überzeugen. Ich bat, ich schmeichelte, ich kroch vor ihm zu Kreuze, was noch den größten Eindruck zu machen schien. Er wusste, dass ich kein Stiefellecker war. Also machte er mir ein Angebot. Wenn meine Geschichte mit dem Ultimatum stimmte, würde er mir zwei Neulinge und ein langes Wochenende zur Verfügung stellen, um Charnwood zur Strecke zu bringen. Mehr konnte ich nicht verlangen. Ich akzeptierte. Wir vereinbarten ein Treffen für den nächsten Tag, Freitag, den 24. Juli.
Bis dahin würde das Ultimatum veröffentlicht. Es war um 18 zugestellt worden. Und seine Bedingungen waren so hart, dass die Ablehnung unausweichlich war. Ich traf mich also wieder mit Glenister. Doch da wartete eine Überraschung auf mich. Der Chef war bei ihm. Northcliff. »Sie übertreiben, Duggan«, sagte er. »Sie sind zu lange in Wien gewesen. Hier in London ist es nicht opportun, patriotische Engländer zu verleumden, wenn wir am Rand eines Krieges stehen. Gott weiß, dass wir schon genug Schwierigkeiten damit haben, die Regierung davon abzuhalten, ihren Verpflichtungen auszuweichen, auch ohne hinter imaginären Verschwörungen herzujagen.« Ich beharrte darauf, dass es sich nicht um Einbildung handelte. Ich wiederholte die ganze Geschichte, aber vergeblich. Die anderen Zeitungen schrien alle nach deutschem Blut, und er wollte nicht, dass nur The Topical aus der Reihe tanzte. Er wurde ungeduldig und bald auch richtig ärgerlich.
»Lassen Sie die Sache fallen, Duggan! Und zwar sofort !« schrie er. »Oder ich werde dafür sorgen, dass Sie nie wieder in Fleet Street arbeiten können.« Ich ließ mich nicht abschrecken, und ich hatte nicht vor, die Sache fallenzulassen. Er ging und stieß dabei finstere Drohungen über meine Zukunft aus. Aber die Zukunft von uns allen stand auf dem Spiel. Dieses eine Mal schien die meine nicht so überaus wichtig zu sein.
Nachdem er verschwunden war, versuchte Glenister mich zu beschwichtigen. »Nehmen Sie doch Vernunft an, George«, sagte er. »Ich musste den Chef konsultieren, in unser beider Interesse. Nun, er denkt - und da schließe ich mich an -, dass Sie genau der Mann sind, der einen Artikel über den Streit auf den schottischen Kohlenfeldern schreiben kann. Wir brauchen jemanden, der dorthin geht und herausfindet, ob die Grubenarbeiter König und Land über ihren Minimallohn stellen.«
Man wollte mich aus dem Weg räumen. Ich sollte nach Schottland geschickt werden, so weit weg von Wien wie möglich. Die Strategie war glasklar. Genauso wie die Alternative. Gib auf, oder mach weiter. Ungeachtet der Konsequenzen.«
Wir erreichten den Wagen und stiegen ein. Duggan starrte nach vorn durch die Windschutzscheibe auf Strand und Himmel, während er Zigarettenpapier herausholte und schwer atmete.
»Was haben Sie gemacht?« drängte ich ihn sachte.
»Hmm?« Er riß den Kopf herum und schnitt eine Grimasse. »Ich machte natürlich weiter, ich blöder Narr. Glenister erzählte ich, dass ich die Charnwood-Story aufgeben und nach dem Wochenende nach Schottland fahren würde. Als ich ging, lächelte er, zufrieden mit seinem Tagewerk.« Duggan öffnete seine Tabakdose und streute etwas von ihrem Inhalt in das Papier. »Doch Glenister zu täuschen war nicht schwer. Die Frage war: Wie sollte ich
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