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Geschlossene Gesellschaft

Geschlossene Gesellschaft

Titel: Geschlossene Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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herunter. Dann erschien ein grinsender Junge in einer Marineuniform, die er auszog. Als er nackt war, kauerte er sich auf allen vieren vor mich hin, und man schob mich auf ihn. Dann flammten Blitzlichter auf, Pfiffe und Schreie ertönten. Kurz darauf hatte die Polizei mich gefasst. Den Jungen ließen sie laufen. Sie hatten, was sie wollten.
    Als ich am nächsten Morgen vor den Untersuchungsrichter gestellt wurde, war Greys Angebot für eine Botschafterkonferenz bereits hinfällig. Keiner auf der Richterbank war an meinen Unschuldsbeteuerungen interessiert. Ich wurde in die Untersuchungshaft zurückgeschickt und ins Wandsworth-Gefängnis verlegt. Ich hütete mich, dort jemanden zu suchen, der mir glaubte. Mein Fall wurde am folgenden Dienstag verhandelt: Das war der 4. August. Bis dahin waren die Dominosteine bereits ins Fallen gekommen. Deutschland und Österreich-Ungarn hatten Russland und Frankreich den Krieg erklärt. Und in dieser Nacht war auch England eingetreten. Jeder, der da laut und deutlich seine Meinung sagte, war nicht nur verrückt, sondern wurde wegen Hochverrats verurteilt. Oder in meinem Fall wegen etwas noch Schlimmerem. Und viel Schäbigerem.
    Man gab mir fünf Jahre, Mr. Horton. Und mir wurde kein einziger Tag wegen guter Führung erlassen. Vermutlich, weil ich mich nicht besonders gut aufgeführt hatte. Vielleicht aber auch, weil jemand bei der Gefängnisverwaltung ein Wort dagegen einlegte. Wie auch immer, ich glaube trotzdem, dass ich es im Vergleich mit all den armen Kerlen, die man da unten in Flandern niedergemäht hat, noch gut getroffen habe, meinen Sie nicht?«
    »Ich glaube schon«, erwiderte ich und dachte an Felix und sein leeres, zuckendes Gesicht.
    »Was halten Sie von einem Drink? In dem Dorf gibt es einen Pub mit ein paar ruhigen Ecken. Nicht, dass es jetzt noch eine Rolle spielen würde, ob uns jemand belauscht. Sie haben das meiste schon gehört.«
    Die Bar des Red Lion in Alnmouth war ein warmes, rauchgeschwängertes Paradies, in dem kein Kunde auch nur im Geringsten an einem trübseligen Paar wie uns interessiert war. Duggan wirkte todmüde, selbst nach zwei kräftigen Rum. Ich bedauerte, dass ich so viel aus ihm herausgelockt hatte, und wünschte, ich hätte seine alten Wunden nicht wieder aufgerissen - zu seinem und auch zu meinem Besten. Es war nicht gut, zuviel zu wissen, das war mir jetzt klar. All die Leichtfertigkeit und Selbstgefälligkeit war plötzlich von mir gewichen. Ich fühlte mich klarer als zuvor, aber auch freudloser, fast so, als hätte ich nie zuvor gelacht.
    »Ich bin im Sommer 1919 hierhergekommen«, fuhr Duggan fort. »Direkt nach meiner Entlassung. Sir Edward war mittlerweile Lord Grey und hatte sich aus der Politik zurückgezogen, um seine ihm verbleibenden Jahre in Fallodon zu verbringen. Ich wollte ihn fragen, ob er jetzt glaube, dass ich vielleicht doch recht gehabt haben könnte. Natürlich tat er das nicht, jedenfalls sagte er das. Statt dessen verriet er mir, was ich die ganze Zeit schon vermutet hatte: Er hatte mich für verrückt gehalten, als ich in Itchen Abbas zu ihm hereingestürmt war. Er hatte mich nur ermutigt, im Plough zu logieren, damit er Lord Northcliff anrufen und ihn fragen konnte, was er tun sollte. Northcliff sagte, ich sei besessen, wenn auch harmlos, und riet Grey, mich einfach zu ignorieren. Das hatte er auch getan. Aber in einem Punkt musste er zugeben, dass ich recht gehabt hatte. Nach dem Krieg war nämlich herausgekommen, dass sein Vermittlungsangebot erst nach Ablauf des Ultimatums an den österreichischen Außenminister in Wien übergeben worden war. Irgendjemand hatte irgendwo dafür gesorgt, dass nichts dabei herauskam. Selbstverständlich überzeugte das Grey nicht vom Vorhandensein einer Concentric Alliance. Genauso wenig wie meine Inhaftierung, von der er nichts erfahren hatte. Und doch machte ihn die ganze Sache nicht besonders glücklich. Vermutlich hat er mir deswegen seine Hilfe bei der Suche nach einem Job angeboten. In gewisser Weise entschuldigte er sich so bei mir dafür, dass er mich nicht ernst genommen hatte.«
    »Und Sie haben sein Angebot angenommen?«
    »Natürlich. Es war wahrscheinlich das einzige, das ich bekommen konnte. Fleet Street rollte mir nicht gerade den roten Teppich zur Begrüßung aus. Der Alnwick Advertiser war das Beste, was ich kriegen konnte. Also vergrub ich mich hier in dieser ländlichen Abgeschiedenheit und versuchte zu vergessen. Welchen Sinn hatte es, mich zu erinnern? Der Krieg

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