Geschlossene Gesellschaft
mich richtig erinnere, geht dort um ein Uhr eine Fähre vom North Wall Quay nach Holyhead.«
Wieder in Dublin, mit mehr als drei Stunden Aufenthalt? Nein. Das kam nicht in Frage. Faraday war ohne weiteres zuzutrauen, dass er den Fahrplan las und meine Überlegungen nach vollzog. Er würde da sein, bevor die Fähre ankam. »Es muss einen anderen Weg geben«, meinte ich hartnäckig.
»Nun, tja, Sie können nach Rosslare herunterfahren, denke ich, und von da aus nach Fishguard übersetzen. Aber das ist ein Abendtörn. Und die Fähre legt mehr als drei Stunden später ab als die hier. Nein, Sie sind viel besser bedient, wenn Sie von North Wall aus fahren.« »Dennoch, wann fährt der nächste Zug nach Rosslare?« »Nun, wenn Sie den Zehn-Uhr-Zug nach Bray nehmen, können Sie dort den um Viertel vor elf nach Wexford nehmen ... Dann kommen Sie in Rosslare Harbour gegen... mal sehen...« Er blätterte einen mitgenommenen Fahrplan durch. »Zwanzig nach drei.«
Mit sechs bis sieben Stunden Wartezeit auf die Fishguard-Fähre. Aber was machte das? Es war die unlogischste Wahl und deshalb die letzte, an die Faraday denken würde. Also Rosslare.
Ich konnte meine Dummheit nur mit dem Schock entschuldigen, den all die Geschehnisse in mir ausgelöst hatten. Es dauerte noch ungefähr eine Stunde, bis mein Gehirn wieder ordentlich funktionierte. Im Zug nach Wexford hatte ich ein Abteil für mich allein und wollte mir die Dokumente ansehen, für die ich fast und drei andere Männer tatsächlich gestorben waren.
Erst als ich die Reisetasche betrachtete, wurde mir mein gigantischer Fehler klar. Faraday musste nur nach Dun Laoghaire fahren und mich dem Fahrkartenschaffner beschreiben »Engländer in Eile mit Gladstone-Reisetasche« -, um meine genaue Reiseroute zu erhalten. Meine Flucht hatte plötzlich fatale Ähnlichkeit mit der Bewegung einer Ratte, die in ihrer Falle verzweifelt im Kreis lief.
Links von mir erstreckte sich die Irische See grau und quälend ruhig bis zu meiner Heimat, die ich anscheinend nie wieder erreichen sollte. Wie weit war die Küste von Wales entfernt? 50 Meilen? 60 vielleicht? Sie hätte genauso gut 1000 Meilen entfernt sein können, es machte keinen Unterschied. Aber Selbstmitleid würde mir auch keine Flügel verleihen. Ich kam weder vor noch zurück. Ich konnte nur eins tun. Beim nächsten Halt verließ ich den Zug. Obwohl ihre Einwohner die Stadt sicherlich ins Herz geschlossen hatten, kam mir Wicklow an diesem kalten Novembermorgen als der grimmigste und abweisendste Ort vor, den ich mir als Zufluchtsstätte hatte aussuchen können. Alte Männer in abgetragener Kleidung lehnten an den Türpfosten und nuckelten an ihren Pfeifen. Barfüßige Kinder hockten in den Gossen und spielten Murmeln. Und korpulente Frauen standen vor den Schaufenstern herum und tratschten. Nur die Hunde schenkten mir Aufmerksamkeit; vielleicht erkannten sie in dem verstohlen vorbeigehenden Fremden einen Seelenverwandten. Der Rest der Bevölkerung von Wicklow schien meine Existenz nicht wahrzunehmen. Und das, rief ich mir ins Gedächtnis, war auch gut so.
Ich ging zum Hafen, setzte mich dort auf eine Mauer, zündete mir eine Zigarette an und überlegte angestrengt, was ich als nächstes tun sollte. Wind kam auf und blies vereinzelte Regentropfen in meine Richtung. Die mit Muscheln bewachsenen Küstenboote und Fischerkähne begannen an ihren Ankerketten zu schaukeln. Und in meinem Kopf nahm langsam eine Idee Gestalt an. Ich zündete mir eine weitere Zigarette an, und als ich sie aufgeraucht hatte, war aus der Idee ein Plan geworden.
In Docherty's Bar direkt am Kai konnte ich so gut wie anderswo mein Glück versuchen. Das höhlenartige Innere roch wie geräucherte Makrele, die man in Bier aufgeweicht hatte, und die meisten Gäste schienen so alt, als hätten sie noch die große Hungersnot erlebt. Aber der Barmann schien eine liebenswürdige Person zu sein, die einem romantischen Ereignis gern helfen würde. Und offenbar gefiel ihm meine Whiskywahl.
»Es ist mir ein Vergnügen, einen Gentleman mit Geschmack bedienen zu können«, bemerkte er und warf einen verächtlichen Blick auf seine anderen Gäste. »Wären Sie vielleicht bereit, mir einen Rat zu geben?« versuchte ich mein Glück.
»Und was für einen Rat, Sir?«
»Ich fragte mich eben, ob Sie vielleicht jemanden mit einem Boot kennen, der bereit wäre...«, ich senkte meine Stimme, »... einen Gentleman zur walisischen Küste überzusetzen.«
Er musterte mich einen
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