Geschlossene Gesellschaft
können.«
»Vielleicht ziehen wir es aber auch vor, in Italien zu bleiben«, verkündete Diana. Ihre Stimme klang zurückhaltend. »So viel hat sich verändert. Wir müssen einen Neuanfang machen. Aber wo oder mit wem oder wie...« Sie schaute nicht mich, sondern das Porträt ihrer Mutter an. Alles, was ich an ihr nicht kannte und auch nicht erraten konnte, schien in ihrem seelenvollen Blick zu liegen. »Ich kann es nicht sagen«, murmelte sie. »Ich kann nicht sagen, was die Zukunft für uns bereithält.« Diana brachte mich zum Wagen. Vielleicht war auch sie froh über die Gelegenheit, ungestört ein paar Worte wechseln zu können. Der Wind hatte die Wolken aufgerissen und nicht mehr nachgelassen; er zerrte jetzt an Baumwipfeln und Hecken und wehte Blätter über den Kies der Auffahrt. Die Sonne schien klar und strahlend und enthüllte jede Einzelheit der Schönheit Dianas, die mich anschaute. Zum ersten Mal konnte ich nachempfinden, warum Max den Mann getötet hatte, der zwischen ihnen gestanden hatte. Vielleicht wäre es von jedem Mann zu viel verlangt gewesen, auf sie zu verzichten. Ich war deshalb im Grunde meines Herzens froh, dass es keine heimlichen Ausflüge mehr geben würde. Zynismus kann nur einem bestimmten Maß an Freude widerstehen, und meine Reserven waren bereits bedenklich erschöpft.
»Wann brechen Sie nach Venedig auf?«
»Morgen. Wir wären früher gefahren, wenn die Untersuchung nicht gewesen wäre. Ich ertrage es nicht, hier zu sein, wenn man all die schrecklichen Dinge über Papa sagen wird.«
»Also ist das hier ein Lebewohl.«
»Ich hoffe nicht. Ich bin sogar sicher, dass es das nicht ist. Wir werden uns wiedersehen.«
»Sie meinen bei dem Prozess?« Ihr Kopf zuckte zurück, und ich bereute die Bemerkung sofort. »Entschuldigen Sie. Ich wollte nicht so... vorwurfsvoll klingen.«
»Ich weiß.« Es kostete sie sichtlich Mühe, sich zu fassen. »Aber ich habe diesen Vorwurf verdient - weil ich zugelassen habe, dass Papa an meiner Stelle Max traf. Wäre ich selbst gegangen und hätte ihm meine Entscheidung erklärt, wäre das alles nicht geschehen.«
»Man kann Ihnen nicht die Schuld für Max' Taten geben. Er selbst würde nicht wollen, dass Sie so denken.«
»Nein? Was will er denn, Guy? Meine Vergebung? Die hätte er bekommen, wenn er sich sofort gestellt hätte. Aber jetzt nicht mehr. Nicht, nachdem er sich so lange versteckt hat, ohne sich auch nur mit einem Wort zu melden. Nicht, nachdem er mich, und Sie, beschuldigt hat, ihn zu hintergehen, obwohl er derjenige ist, der uns betrogen hat.«
»Hassen Sie ihn?«
»Nein. Aber er hat meine Liebe getötet, als er Papa ermordete. Und nichts kann sie zurückbringen.« Sie seufzte schwer und lächelte mich dann an. »Warum besuchen Sie uns nicht in Venedig? Sie werden feststellen, dass auch Sie eine Ortsveränderung gebrauchen können.«
»Das habe ich zuvor schon versucht - ohne Erfolg. Nein, ich glaube, ich werde es diesmal hier durchstehen.«
»Nun, dann betrachten Sie es einfach als eine offene Einladung.«
»Danke. Das werde ich. Und jetzt... muss ich gehen.«
»Guy...«
»ja?«
Sie nahm meine Hand zwischen ihre Handflächen. »Erinnere dich an alles. Bereue nichts.“ Das hat Papa immer gesagt. Glauben Sie, dass das möglich ist?«
»Da bin ich mir nicht sicher.«
»Ich auch nicht. Aber wir müssen es versuchen, nicht? Wir, die wir übriggeblieben sind.« Sie küsste mich leicht auf die Lippen. »Au revoir.«
Ich ließ sie auf dem Rasen zurück, im Wind, der an ihrem Haar zupfte und an ihrem Rock zerrte. Das letzte, was ich von ihr sah, war eine schwarze Gestalt, in Licht gebadet, einen Arm halb erhoben, als segne sie mich. Plötzlich packte mich das Verlangen zurückzugehen, aber ich presste die Zähne zusammen und ging weiter. Wenn ich etwas von Max lernen konnte, war es das, seinen Fehler nicht zu wiederholen. Versuchung war eine Sache, ihr zu verfallen eine andere. Ich würde Diana weder nach Venedig noch anderswohin folgen. Das Ergebnis der Untersuchung und die Zahlungsunfähigkeit von Charnwood Investments nahm weniger Raum in den Zeitungen ein, als ich erwartet hatte. Die schlimmer werdende Wirtschaftskrise verdrängte solche Dinge in kleine Artikel an den unteren Rand der Innenseiten. Das war auch kein Wunder, denn die Männer der Atlantikflotte hatten gemeutert, als man von ihnen Opfer bei ihren Gehältern verlangt hatte, die brasilianische Regierung war mit ihren Schuldenzahlungen in Verzug, und in der City
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