Geschlossene Gesellschaft
geschluchzt. Warum konnte er nicht dasitzen, grinsen und mir eine Zigarette anbieten? »Guter Witz, was, alter Knabe? Nichts für ungut!« Warum konnte ich es nicht wiedergutmachen und den letzten wütenden Augenblick unserer Freundschaft ändern?
Diana stand auf und ging stolpernd zur Tür. Max hatte sie halb offengelassen. Er musste uns durch den Garten in die Villa gefolgt sein, vermutete ich dunkel. Dann war er die Treppe hinaufgeschlichen und hatte uns zugehört. Wahrscheinlich war er auf Zehenspitzen ins Zimmer geschlichen und hatte zugeschaut. Diana nahm einen Bademantel vom Haken hinter der Tür, hüllte sich hinein und erschauerte.
»Ruf die Polizei an«, hörte ich mich sagen.
»O Guy...«
»Geh einfach und ruf sie an!« Meine Heftigkeit schockierte sie. Ich sah es an ihren weit aufgerissenen Augen. »Entschuldige. Bitte, tu es. Jetzt. Bevor...« Ich konnte den Satz nicht beenden, genauso wenig wie ich ertragen konnte, mir vorzustellen, was uns bevorstand.
Diana war fort. Mit zitternden Fingern schloss ich Max' Augen und stand langsam auf. Ich versuchte krampfhaft, meine Gedanken zu ordnen und meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Die Tränen waren versiegt, aber das Zittern war schlimmer geworden. Ich trat vorsichtig an Max vorbei und lehnte mich schwer gegen das Bettgestell aus Messing, als eine Welle der Übelkeit mich überfiel. Dann sammelte ich meine verstreut herumliegenden Kleidungsstücke auf und zog sie an. Von unten hörte ich Dianas Stimme. »La polizia? Per favore, kommen Sie bitte sofort zur Villa Primavera, Via Pasqua, Venezia Lido.« Sie tat mir plötzlich leid wegen der Schuld, die sie empfinden musste und die eigentlich die meine war. »E stato un incidente.« Sie nannte es einen Unfall. Aber war es das wirklich? Ein reiner Unfall? »Qualcuno e morto.« Jemand war gestorben. Ja, das stimmte. Und ein Teil von mir mit ihm.
Ich hockte mich auf den Bettrand und starrte auf Max' Leichnam hinab. Was sollte ich sagen, wenn die Polizei eintraf? Wie sollte ich erklären, was passiert war? Es wäre alles anders gewesen, wenn wir niemals an Bord der Empress of Britain gegangen wären, wenn ich Vita niemals zu Hilfe geeilt wäre, wenn Max und ich niemals diesen albernen Handel abgeschlossen hätten. Da fielen mir die Verträge ein, die wir ausgetauscht hatten, die Verpflichtungen, die wir unterschrieben hatten. Sie würden Max' Kopie finden, wenn sie ihn durchsuchten, mit meiner Unterschrift darauf. Das einzige Geheimnis, das ich bisher noch geheim gehalten hatte, würde entdeckt werden. Diana würde in mir dann den Lumpen kennenlernen, der ich war. Und das Andenken an Max würde noch dunkler werden.
Er trug kein Jackett, nur Hemd und Hose. Ich schob meine Hand unter seine rechte Hüfte und fühlte die Brieftasche. Ich machte den Knopf auf, zog die Tasche heraus und öffnete sie. Dort, hinter einem zerknitterten Lire-Bündel, war das Blatt Papier, das ich sofort erkannte. Es war vierfach gefaltet. Ich zog es heraus und steckte es in meine eigene Brieftasche, zwängte dann Max' Brieftasche wieder zurück in die Hosentasche, ohne allerdings den Knopf schließen zu können. Dann stand ich auf und bemerkte zum ersten Mal, wie schnell mein Herz schlug und wie rasch und heftig ich atmete. Langsam begann die Panik nachzulassen.
Ich schaute erneut auf Max hinab und wunderte mich darüber, wie wenig der Tod ihn gezeichnet hatte. Vor allem im Vergleich mit... In diesem Moment fiel mir sein lautes Leugnen ein. »Glaubst du, ich hätte nicht bemerkt, warum du geholfen hast, mich als Mörder zu brandmarken?« Aber er hatte sich selbst gebrandmarkt. Sicher hatte er nicht gedacht ... hatte er doch wohl nicht gemeint... Aber das hatte er. Er hatte sich geirrt, aber er hatte nicht gelogen. Ich war genauso wenig schuldig wie er.
»Guy?« Diana stand in der Tür und starrte mich besorgt an. »Die Polizei wird bald hier sein.«
»Gut. Ich...«
»Was?«
»Er hat deinen Vater nicht umgebracht.« »Wie meinst du das?«
»Max. Du hast doch gehört, wie er es gesagt hat. Er war nicht der Mörder.«
»Er muss es gewesen sein.«
»Nein. Seine Wut war irgendwie... aufrichtig. Hast du das nicht gespürt?«
»Er hat sich hintergangen gefühlt... von uns... von dem, was du und ich gemacht haben... was er und ich niemals...«
Jetzt weinte sie. Ich schlang meinen Arm um sie und zog sie beschützend an meine Schulter, während ich ihren Schluchzern zuhörte. »Es hatte noch mehr zu bedeuten«, murmelte ich. »Er
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