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Geschlossene Gesellschaft

Geschlossene Gesellschaft

Titel: Geschlossene Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goddard
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war unschuldig. Und er liebte uns beide. Und, unter uns, wir haben ihn zerstört.«

8
    Der Schock über Max' Tod bewirkte, dass ich mich in mein Inneres zurückzog. Ich erinnere mich noch, dass ich ein Laken über seine Leiche drapierte und auf dem Balkon eine Zigarette rauchte. Dabei zitterte meine Hand so sehr, dass die Asche sich auf meinen Ärmel verteilte. Ich erinnere mich auch daran, dass ich in den Garten hinaus starrte, während Diana sich eilig anzog. Als die Seide über ihre Haut glitt, bemerkte ich, wie sehr das Geräusch dem Zischen einer Schlange glich. Und ich weiß auch noch, wie ihre Knöchel weiß hervortraten, als sie neben mir stand und das Geländer umklammerte. »Was sollen wir ihnen sagen, Guy?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Die Türglocke klingelte, und ich erinnere mich an meine Worte: »Die Wahrheit. Die ganze Wahrheit.«
    Aber diese Erinnerungen glichen eher Erinnerungen an geschichtliche Ereignisse, in denen ich keine Rolle spielte, als Erinnerungen an persönlich Erlebtes. Meine Seele hatte sich in andere Zeiten und Orte zurückgezogen: an das erste Mal, als Max und ich die Morning Hills in Winchester sahen; der Nebel stieg aus dem Itchen auf, während der Aufsichtsschüler des Wohnheims unsere Namen aufrief und der Tau auf den Wiesen langsam unsere Socken durchnässte. Ich dachte an ein requiriertes Haus in Saloniki, in dem wir und vier andere Malariakranke ehrgeizige Pläne für unsere Karrieren nach dem Krieg schmiedeten. Ich sah die Freiheitsstatue vor mir, als wir von dem langsam vorbeigleitenden Deck der Aquitania hinüberschauten und Max über die Neue Welt, in die wir gerade einfielen, sagte: »Gegen ein Paar wie uns haben sie nicht die geringste Chance.«
    Aber die Partnerschaft war nun beendet. Ich hatte nicht nur einen Freund verloren, sondern einen wesentlichen Teil meiner Vergangenheit. Wie das Phantomglied eines Amputierten blieb er meinen Gedanken und Reaktionen verbunden, noch lange nachdem die mit einem Leichentuch verhüllte Gestalt auf einer Bahre aus der Villa hinausgetragen worden war. Max - und alles, was er mir bedeutet hatte - war direkt neben mir, als Uniformierte kamen und gingen, als die Befragung begann und wir Antworten gaben und die Umstände seines Todes geprüft und erwogen wurden.
    Minuten nachdem die Polizei die Villa betreten hatte, wurden Diana und ich zur Befragung in getrennte Zimmer gebracht. Wenn wir gewusst hätten, wie lange wir uns nicht wiedersehen würden, hätten wir sicher ein Wort, einen Blick oder eine Geste des Abschiedes getauscht. So wurde mir erst später klar, dass man uns absichtlich getrennt hatte, um eine Absprache zwischen uns zu verhindern, und dass unsere Erklärung dessen, was da passiert war, nur eine Variante war, der die Polizei nachging.
    Später am Nachmittag wurden wir in verschiedenen Barkassen auf die Polizeiwache im Zentrum von Venedig gebracht. Vermutlich war es dieser Ortswechsel, der mich aus meiner Trance weckte. Der Raum, in den man mich steckte, konnte sich eines schmalen vergitterten Fensters rühmen, das auf einen lauten Seitenkanal hinausging. Die Möblierung bestand aus einem wackligen Kieferntisch und zwei harten Stühlen. Der einzige Schmuck war eine große, gerahmte Fotografie von Mussolini in einer heroischen Pose. Sie zierte die Wand mir gegenüber und ragte drohend über dem verkniffenen Gesicht meines unermüdlichen Befragers auf. Diana gegenüber war Vizequästor Varsini gewissenhaft höflich gewesen, um nicht zu sagen unterwürfig. Mich jedoch behandelte er mit mürrischer Skepsis, die zunehmend ermüdete. Er sprach gutes Englisch, fast schon unangenehm pingelig. Doch was er wirklich dachte, teilte er seinem Kollegen nur in seiner Muttersprache mit, und zwar in einem Dialekt, den ich unmöglich verstehen konnte. Die Sprachbarriere benutzte er als Vorwand, um immer wieder auf bestimmte Punkte zu sprechen zu kommen; mir aber war von Anfang an klar, dass er dafür einen anderen Grund hatte.
    »Lassen Sie uns nochmals anfangen«, sagte er dann gewöhnlich, während der Rauch seiner Zigarette langsam zu der einsamen Glühbirne an der Decke aufstieg. »Was haben Sie und Signorina Charnwood gemacht, als Signor Wingate die Villa betrat?«
    »Wir waren im Bett.«
    »Zusammen?«
    »Ja.«
    »Aber Signorina Charnwood war Signor Wingates... Verlobte?«
    »Sie hatten vorgehabt zu heiraten, ja. Aber das war vor dem Tod ihres Vaters.«
    »Si, si Signor Charnwood. Ebenfalls von einem Schlag auf den

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