Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
das wissen?«
»Nur Ermittlungsroutine«, antwortete Angermüller leichthin.
Die Mutter griff nach Lorenzos Hand und suchte wieder seinen Blick. Er lächelte.
»Mein Sohn und ich waren natürlich zu Hause«, sagte sie, was dieser mit einem Nicken bestätigte.
»Nein, halt!«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das stimmt ja gar nicht, Lorenzo!«
Befremden im Gesicht des jungen Mannes.
»Wir waren doch essen! Bei deinem Lieblingsitaliener in Kellenhusen!«
Erleichtertes Auflachen.
»Na klar, Mama! Wie konnt ich das vergessen! Tonis wunderbare Kürbis-Gnocchi an tomatisierten Steinpilzen!«
Zufrieden schaute Dagmar Hagebusch zu den Beamten.
»So gegen acht waren wir schon wieder zu Hause. Es war ja so ein unangenehm nebliger Abend gestern.«
»Also, ich nehm noch eine von den Buchteln. Mit janz viel Vanillesauce, bitte!«
Mit vor Wonne bebender Stimme stand die propere Rothaarige vor der Kuchenvitrine und deutete auf die braungolden glänzenden Gebäckstücke. Draußen blies inzwischen ein unangenehm kalter Wind, und weiße Kämme schimmerten im Zwielicht auf den graubraunen Wellen. In der Wärme des Cafés duftete es aromatisch nach Espresso, auf den Tischen verbreiteten Kerzen Gemütlichkeit, und im Hintergrund sang leise Nat King Cole.
»Hach, Frau Stucki, wat machen Sie bloß damit? Die machen ja süchtig, die Dinger!«
Wie süschtisch hörte es sich im rheinischen Singsang der jungen Frau an.
Lina lachte.
»Gar nix! Einfach nur gute Zutaten und natürlich viel Liebe.«
»Ach ja, die Liebe!«, seufzte die Kundin und setzte sich zurück zu den anderen Frauen, die sich um den großen, runden Tisch vor dem Fenster versammelt hatten.
»Davon können wir alle ne Riesenportion brauchen, oder?«
»Sandra! Du wieder!«, lachten ihre Tischgenossinnen, die vor Kaffee und Kuchen saßen. Seit zwei Wochen traf sich die Truppe fast jeden Nachmittag im Café ›Torten, Suppen, Meer‹ – sehr zu Linas Freude. Die Frauen waren zur Kur mit ihren Kindern hier, oft brachten sie die auch mit. Heute aber waren sie allein, und ihre Gespräche drehten sich meist um Männer, um deren Fehler und Eigenarten, dass die Typen manchmal ganz schön nerven konnten, aber doch irgendwie fehlten, sobald sie nicht mehr da waren.
»Die Männer sind alle Verbrecher …«, sang eine der Kurmütter plötzlich voller Pathos.
»Aber lieb, aber lieb sind sie doch!«, schmetterte Sandra sogleich lauthals dazwischen. Ein fröhliches Lachen brandete durch das kleine Café. Die beiden Hunde, die wie gewohnt in ihrer Ecke neben dem Tresen lagen, hoben erstaunt die Köpfe. Doch sie beobachteten die Frauen nur und blieben ansonsten still. Lina hatte die Tiere, die sie stets begleiteten, gut erzogen.
Sandra war jetzt richtig in Stimmung.
»Ach, wollen wir heute nicht mal einen Prosecco trinken, Mädels? Was kostet ein Glas Prosecco, Frau Stucki?«
Wohl wissend, dass es die meisten der Frauen nicht so dicke hatten, nannte Lina einen sehr moderaten Preis.
Sie freute sich über die regelmäßigen Besucherinnen, deren Kur in der nächsten Woche zu Ende ging. Es war nicht garantiert, dass die nächste Kurfrauenschicht ebenfalls ihr Café zum Stammlokal wählen und einen stabilen Einnahmeposten im umsatzschwachen November garantieren würde. Mir fehlt kein Typ, dachte Lina trotzig, die mit halbem Ohr den Gesprächen gefolgt war, während sie die Gläser mit Prosecco füllte. Nie werde ich mich von einem Typen abhängig machen – oder nie wieder. Weder in Sachen Liebe, noch Geld, noch Kinder. Schwierig genug war es gewesen, den Herrn Stucki loszuwerden. Nach langer Zeit musste sie wieder einmal an ihre Mutter denken. Und wieder spürte sie die Wut im Bauch, eines der wenigen Gefühle, das sie für diese Frau übrig hatte. Und wieder hoffte sie, niemals so zu werden wie sie. Zum Glück habe ich auch mit Olaf jetzt klare Verhältnisse geschaffen, beglückwünschte sich Lina im Stillen, sonst wäre ich womöglich in diese verdammte Beziehungsfalle getappt.
»Prost, die Damen!«
»Prost, Frau Stucki! Kommen Sie, ich lad Sie ein, trinken Sie doch einen mit!«, forderte Sandra sie auf.
»Danke, das ist lieb! Aber ich muss nachher noch Autofahren.«
Lina trank sowieso kaum Alkohol. Der unerwartete Ansturm im Café – außer den jungen Müttern hatten sich noch drei Touristenpaare und ein Stammgast aus der Nachbarschaft mit einem Freund eingefunden – hatte sie eine ganze Weile von ihren eigenen Problemen abgelenkt. Doch nun, da es dunkel wurde und
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