Geschmacksverwirrung - Angermüllers siebter Fall
Sie war wohl nicht allein bei diesem Brandanschlag, gab aber ihre Mittäter nicht preis. Es war nicht ihre erste Straftat als Tierrechtsaktivistin. Da sie glaubhaft davon ausgegangen war, dass sich weder Menschen noch Tiere zum Zeitpunkt der Tat in dem Gebäude befanden, wurde sie wegen vorsätzlicher einfacher Brandstiftung zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
»Allerdings hat sie sich nach dem ersten Jahr nicht mehr bei ihrem Bewährungshelfer gemeldet und ist seitdem abgetaucht. Es wird angenommen, dass sie nach wie vor in der Szene aktiv ist.«
»Na gut, vielen Dank. Dann hoffen wir mal, dass der Typ von der Zeitung seine Zusage hält. Unser Top-Journalist – zu Tode gefüttert! Nach so einer Schlagzeile lecken die sich doch die Finger. Aber sie warten mit der Veröffentlichung auf jeden Fall bis Freitag, hat er versichert. Dafür hab ich ihm versprochen, ihn sofort zu informieren, wenn unsere Ermittlungen erfolgreich waren.«
Der Kriminalhauptkommissar sah auf die Uhr.
»Lasst uns jetzt auch Schluss machen für heute. Du kümmerst dich um die Fahndung nach der Frau, Thomas, und wir zwei beide wissen, was wir morgen nach der Obduktion zu tun haben, gell, Claus?«
»Ja, wird ein geiler Tach morgen, wie immer.«
Ein eigenartiges Gefühl überfiel Angermüller, als er vor dem Haus stand, in dem er den Großteil seiner Lübecker Jahre verbracht hatte. Bei jedem Besuch hier legte sich ihm so ein komischer Druck auf die Brust. Er konnte sich wohl nicht an den Gedanken gewöhnen, dass dies alles jetzt vorbei sein sollte. Irgendwie war das immer noch sein richtiges Zuhause.
»Hallo, Georg, du! Und so pünktlich«, begrüßte ihn Astrid, blond und zierlich, in ein dunkelblaues Wolljackett zur Cordhose gekleidet. Sie klang tatsächlich erfreut. Trotzdem ärgerte sich Angermüller über ihren Kommentar, der ihm einmal mehr klarmachte, für wie unzuverlässig sie ihn hielt. Sie vermieden es beide, sich einen Begrüßungskuss zu geben, der bis vor gar nicht so langer Zeit noch ganz selbstverständlich zwischen ihnen gewesen war. Einen Augenblick standen sie sich etwas verlegen gegenüber. Dann tobte von oben Judith herunter, eine pinkfarbene Reisetasche in der Hand. Ihr langes blondes Haar wehte, sie trug einen übergroßen Pullover über einer Leggins und hatte sich offensichtlich die Augen geschminkt und die Lippen angemalt.
»Hi, Papa«, rief sie freudig, hing sich Georg an den Hals und gab ihm einen dicken Kuss auf die Wange.
»Hallo, Judith! Du hast dich ja so schick gemacht. Wir gehen aber nicht aus heute Abend.«
»Weiß ich doch! Ist doch auch gar nix Besonderes, was ich anhab.«
»Und hier?«, fragte ihr Vater und zeigte auf ihr Gesicht.
»Ach, Papa! Du hast keine Ahnung. Das ist doch nur mein ganz normales Tages-Make-up!«
Judith schüttelte den Kopf und wischte ihm die Lippenstiftspuren aus dem Gesicht. Astrid hob im Hintergrund resigniert beide Hände. Im September waren die Zwillinge 14 geworden, und es gab so manche Grundsätze, auf deren Einhaltung ihre Mutter bisher streng geachtet hatte, die einer nach dem anderen im Alltag zerbröselten. Georg fand das normal. Astrid sah jedes Mal heilige Prinzipien über Bord gehen, die gewohnte Ordnung zusammenbrechen, unerwartete Schwierigkeiten wachsen. Aber das Leben war eben Bewegung, Bewegung nach vorn, und Kinder wurden erwachsen, auch wenn man sich das als Eltern nicht vorstellen konnte. Er musste an seine eigene 71-jährige Mutter denken, die ihn noch genauso wie früher behandelte. Sie war eine einfache Frau, sie wusste es nicht besser, aber er wollte mit seinen Töchtern anders umgehen.
»Hallo.«
Julia war heruntergekommen, genauso blond wie ihre Schwester und dieser zum Verwechseln ähnlich, wie alle Leute behaupteten. Sie lächelte und begrüßte ihren Vater mit einer stillen Umarmung. Schon immer war sie die ruhigere, vernünftigere der Zwillinge gewesen. Das Verwechseln würde jetzt wohl nicht mehr ganz so häufig vorkommen. In diesem Sommer hatten sie angefangen, die völlige Gleichheit in Frisur und Garderobe aufzugeben. Die Haare hochgesteckt, mit einem dunklen Rollkragenpulli zu Jeans, wirkte Julia heute älter und erwachsener als Judith.
»Dann lasst uns starten. Wir wollen doch gleich zusammen kochen. Eingekauft hab ich schon.«
»Mein Gepäck steht auch bereit. Martin kommt mich gleich abholen. Ist ja zum Glück nur zwei Stunden bis Bad Bevensen. Also, macht’s gut, Mädels. Viel Spaß beim Kochen
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