Geschmiedet in Feuer und Magie - Fox, D: Geschmiedet in Feuer und Magie - Dragon in Chains
hatte sich etwas geöffnet oder geregt – oder war zerbrochen. Vielleicht war er verrückt
geworden. Er stand seit Tagen am Rande bodenlosen Entsetzens; wenn er verrückt wurde, konnte ihm wohl niemand einen Vorwurf machen.
Wenn er verrückt wurde und davonlief, würde Suo Lung ihn ruhigstellen. Anketten, wahrscheinlich. Wenn Li Ton ihn nicht schon vorher tötete.
Also besser nicht davonlaufen. Auch als Verrückter begriff er das.
Er begriff auch sonst zu viel für einen Schreiberjungen, der kaum seine Schriftzeichen gelernt hatte. Er hatte das Meer bis auf die letzten Tage nie gesehen; und doch spürte er jetzt so viel im Sog der Gezeiten und im Flüstern des Salzes, in den Strömungsbewegungen, im grimmigen Durchhalten von Felsen im Wasser. Und im Himmel, der wie ein umgekehrtes Meer war, eine Schale, die kopfüber auf einer zweiten stand, sodass die sterblichen Menschen auf eine enge Ebene dazwischen gezwängt wurden. Er wusste – wie konnte er das wissen? -, dass es Dinge über den Wind zu verstehen gab, wenn er böig eine Steilküste hinauffegt, über die Wucht eines Sturms und die Ruhe oberhalb davon, über den Regen, der nahte, obwohl er noch nicht hier war …
Er kam sich wie ein einsamer Wächter vor, ein Posten, hinter dem eine große Armee schlief und auf seinen Weckruf wartete; sie versprach eine Sintflut, die ihn zugleich verteidigen und zerstören würde, ihn weit wegschwemmen würde, sodass man ihn nie wiederfinden könnte. Oder er kam sich vor, als stünde er vor einem Palasttor, einem Tor, das geschlossen war, das sich aber öffnen würde, sobald er dreist klopfte, und dann – nun,
dann würde er einen Palast vorfinden, der nicht seiner war, er würde davon verschlungen werden, nur ein vernachlässigter Diener mehr.
Oder er wurde verrückt, lag hier in der Dunkelheit wach und starrte die Sterne an.
Er spürte, wie das Eisen seine Handgelenke aufscheuerte, die Last der Ketten seinen Geist niederdrückte, die Magie ihn verwirrte. Zumindest in Suo Lungs Augen war hieran etwas Magisches: Suo Lung, der selbst Ketten getragen und geschrien hatte, als sie abgeschlagen worden waren, der darum gekämpft hatte, sie zu behalten; der jetzt versuchte, sich an Worte zu erinnern, die er kaum kannte, damit Han sie mit kaum zu gebrauchenden Händen für ihn niederschreiben und er sie auf Hans Ketten übertragen konnte.
Wenn hier jemand wahnsinnig war, dann vielleicht nicht Han.
Und doch spürte er eine andere Welt hinter seinem Rücken, eine andere Art von Verstand; manchmal glaubte er, durch andere Augen als die seinen zu sehen.
Wahnsinn oder Magie, in seinem Kopf befand sich etwas Fremdes, weise und fürchterlich, schlafend. Wenn es erwachte, würde es schlimmer werden. Wenn er ihm einen Namen gab, dann würde sie …
Nein. Das verstand er nicht, konnte es nicht verstehen.
Er wagte es nicht.
Drei
DRACHENKIEFER
1
T unghai Wang stand auf einer Anhöhe. Das Kaiserreich lag hinter ihm; jede Meile hatte Spuren auf seinen Stiefelsohlen hinterlassen.
Nun – auf seinen Sohlen und den Hufeisen seines Pferdes. Und das Pferd war nach Bedarf neu beschlagen worden, und er hatte drei Pferde zwischen der Verborgenen Stadt und hier zuschanden geritten. Er hatte auch mehr als einmal die Stiefel gewechselt, doch jede einzelne Meile der Strecke war auf dem einen oder anderen Wege unter seinen Füßen dahingezogen.
Wenn er auf einem Drachen geritten wäre, hätte er die Strecke in einer einzigen Nacht bewältigen können. In seiner Phantasie, in seiner eigenen Geschichte, war er jedoch selbst der Drache: Er stieg auf, streckte sich, umschlang das Kaiserreich und nahm es in Besitz.
Er hatte es sich verdient. Seine Füße hatten es sich erlaufen. Er hatte die Armee, die ihm folgte, rekrutiert und angeführt. Er hatte ihre unterschiedlichen Kommandeure davon abgehalten, einander oder ihm an die Gurgel zu gehen. Er hatte der Nachhut des Kindkaisers täglich auf jeder Meile des Marsches zugesetzt, ihn nie zur Ruhe
kommen lassen, um Atem zu holen und seine Kräfte zu sammeln. Jede Stadt auf dem Weg hatte die Tore vor ihm verschlossen. Das war Tunghais Triumph.
Und dennoch hatte seine Beute die Küste ein paar kurze Tage vor ihm erreicht – gerade rechtzeitig. Der Kaiser war auf Taishu. Das war Tunghais Misserfolg.
Und natürlich hatte der Kaiser jedes Boot genommen, dass seine Männer finden konnten, und jeden Mann, den diese Boote aufnehmen konnten. Tunghai konnte sie von hier aus sehen: Pünktchen auf dem
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