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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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des geistigen und geistlichen Abgrunds gebracht hatte. Was hatte er gesehen? Ich fragte mich, ob er diese leidenschaftliche, aber verzweifelnde Beschwörung vielleicht niedergeschrieben hatte, nachdem er einen Alptraum erlebt hatte, der den Träumen von Vergewaltigung und Verstümmelung ähnelte, die Lewis Stevenson gequält – und letztlich erfreut – hatten.
    Als ich die Einträge weiter durchblätterte, fand ich eine interessante Beobachtung, die vom elften Februar stammte. Sie war in einer langen, gequälten Passage begraben, in der der Priester mit sich selbst über die Existenz und Natur Gottes stritt, sowohl den Skeptiker als auch den Gläubigen spielte, und ich hätte sie überblättert, hätte ich nicht zufällig das Wort »Trupp« gesehen.
    Dieser neue Trupp, dessen Freiheit ich mich verschrieben habe, gibt mir Hoffnung, gerade weil er die Antithese des ursprünglichen Trupps ist. In diesen neuesten Geschöpfen ist kein Böses, kein Drang nach Gewalt, kein Zorn…
    Ein verzweifelter Schrei vom Dachboden lenkte meine Aufmerksamkeit vom Tagebuch ab. Es war ein wortloses Geheul der Furcht und Pein, so unheimlich und gleichzeitig so herzergreifend, daß Entsetzen wie der Klang eines Gongs durch meinen Geist hallte und einen Akkord des Mitgefühls bei mir anschlug. Die Stimme klang wie die eines Kindes von vielleicht drei oder vier Jahren, verloren und verängstigt und in äußerster Not.
    Orson war von dem Schrei so berührt, daß er schnell aus dem Schlafzimmer in den Korridor trottete.
    Das Tagebuch des Priesters war etwas zu groß, als daß es in eine meiner Jackentaschen gepaßt hätte. Ich steckte es am Rücken in den Hosenbund meiner Jeans.
    Nachdem ich dem Hund in den Korridor gefolgt war, fand ich ihn wieder am Fuß der Klappleiter. Er schaute zu den gefältelten Schatten und dem weichen Licht hinauf, das im Dachboden des Pfarrhauses hing. Dann richtete er seine ausdrucksvollen Augen auf mich, und ich wußte, hätte er sprechen können, hätte er gesagt: Wir müssen etwas unternehmen.
    Dieser einzigartige Hund beherbergte nicht nur eine Unzahl von Geheimnissen, stellte nicht nur größere Klugheit zur Schau, als ein Hund sie eigentlich haben sollte, sondern schien oftmals auch einen klar definierten Sinn für moralische Verantwortung zu haben. Vor den Ereignissen, die ich hier beschreibe, hatte ich mich manchmal halb im Ernst gefragt, ob Reinkarnation vielleicht mehr als nur Aberglaube war, denn ich konnte mir Orson in einem früheren Leben als hingebungsvollen Lehrer oder Polizisten oder sogar als eine kluge, kleine Nonne vorstellen, die nun in einem kleineren Körper mit Fell und einem Schwanz wiedergeboren war.
    Natürlich qualifizieren mich solche Überlegungen als Kandidaten für den Pia-Klick-Preis für außergewöhnliche Leistungen auf dem Gebiet der Luftschloß-Spekulation. Es war äußerst paradox, daß Orsons tatsächliche Herkunft zwar nicht übersinnlich war, wie ich bald erfahren sollte, sich aber als erstaunlicher erweisen sollte, als ich und Pia Klick es uns in unseren kühnsten Phantasien hätten vorstellen können.
    Nun erklang oben ein zweiter Schrei, und Orson war so aufgebracht, daß er ein unglückliches Jaulen von sich gab, das allerdings zu leise war, als daß es bis auf den Dachboden gedrungen wäre. Noch stärker als beim ersten Mal schien die klagende Stimme die eines kleinen Kindes zu sein.
    Ihr folgte eine andere Stimme, die zu leise war, als daß ich einzelne Worte hätte verstehen können. Ich war mir jedoch sicher, daß es sich um die Father Toms handelte, auch wenn ich seinem Tonfall nicht entnehmen konnte, ob er tröstend oder drohend auf jemanden einwirkte.

28
    Hätte ich meinem Instinkt vertraut, wäre ich in diesem Augenblick aus dem Pfarrhaus geflohen, schnurstracks nach Hause gegangen, hätte mir eine Kanne Tee gekocht, Orangenmarmelade auf Teegebäck geschmiert und mir im Fernsehen einen Film mit Jackie Chan angeschaut. Ich hätte die nächsten Stunden auf dem Sofa verbracht, mit einer Decke über dem Schoß, und meine Neugier im Zaum gehalten.
    Doch da mein Stolz mich von dem Eingeständnis abhielt, daß mein Sinn für moralische Verantwortung nicht so gut entwikkelt war wie der meines Hundes, bedeutete ich Orson, zur Seite zu treten und zu warten. Dann stieg ich die Leiter hinauf; in der rechten Hand hielt ich die 9-mm-Pistole, und Father Toms entwendetes Tagebuch drückte unbehaglich gegen meinen verlängerten Rücken.
    Wie ein Rabe, der hektisch mit den

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