Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
Schwingen gegen einen Käfig schlägt, flatterten die dunklen Bilder von Lewis Stevensons Beschreibungen seiner perversen Träume durch meinen Kopf. Der Chief hatte Phantasievorstellungen von Mädchen gehabt, die so jung wie seine Enkelin waren, aber der Schrei, den ich gerade gehört hatte, klang nach einem Kind, das bei weitem noch keine zehn Jahre alt war. Falls der Pfarrer von St. Bernadette sich jedoch im Griff derselben Demenz befand, die auch Stevenson überwältigt hatte, konnte ich nicht davon ausgehen, daß er seine Opfer auf Kinder von mindestens zehn Jahren beschränkte.
    Als ich das obere Ende der Leiter fast erreicht hatte, legte ich eine Hand auf das nicht sehr stabile, zusammenschiebbare Geländer, drehte den Kopf, um an meiner Seite hinunterzuschauen, und sah, daß Orson vom Korridor hinauf starrte. Wie befohlen, hatte er nicht versucht, mir zu folgen.
    Seit fast einer Stunde war er überaus gehorsam und verzichtete darauf, meine Anweisungen mit einem sarkastischen Bellen oder einem Verdrehen der Augen zu kommentieren. Seine jetzige Zurückhaltung stellte eine persönliche Bestleistung von ihm dar. Mehr noch, früher hatte er sich vielleicht mal jeweils eine halbe Stunde lang einigermaßen ordentlich benommen, also war das eine Leistung von geradezu olympischem Kaliber.
    Ich rechnete zwar damit, vom Stiefel eines Geistlichen einen Tritt gegen den Kopf zu bekommen, stieg aber trotzdem höher und betrat den Dachboden. Offensichtlich war ich so leise gewesen, daß ich Father Toms Aufmerksamkeit nicht auf mich gelenkt hatte, denn er stand nicht wartend da, um mir die Nebenhöhlenknochen in den vorderen Gehirnlappen zu treten.
    Die Falltür befand sich in der Mitte eines kleinen Raums, der, soweit ich es erkennen konnte, von einem Irrgarten aus Kartons verschiedener Größe, alten Möbeln und anderen Gegenständen umgeben war, die ich nicht bezeichnen konnte. Das ganze Gerümpel war bis zu einer Höhe von vielleicht zwei Metern aufeinandergestapelt. Die nackte Glühbirne direkt über der Falltür war nicht eingeschaltet, und das einzige Licht kam von links, der südöstlichen Ecke auf der Vorderseite des Hauses.
    Ich schlich gebückt auf den großen Dachboden, obwohl ich hätte aufrecht stehen können. Das normannische Spitzdach bot genug lichte Höhe zwischen meinem Kopf und den Sparren. Zwar machte ich mir keine allzu großen Sorgen darüber, mit dem Kopf gegen einen Dachbalken zu stoßen, aber es bestand durchaus die Gefahr, von einem verrückten Kleriker einen Schlag auf den Kopf oder eine Kugel zwischen die Augen oder ein Messer ins Herz zu bekommen, und ich hatte vor, so unauffällig wie möglich zu bleiben. Hätte ich wie eine Schlange auf dem Bauch kriechen können, wäre ich noch nicht einmal in die Hocke gegangen.
    Die feuchte Luft roch wie eingedickte und in Flaschen abgefüllte Zeit: Staub, die Muffigkeit alter Kartons, der durchdringende Holzduft der groben Balken, Schimmel und der schwache Gestank irgendeines kleinen toten Tieres, vielleicht eines Vogels oder einer Maus, das in einer dunklen Ecke lag.
    Links neben der Falltür befanden sich zwei Eingänge in das Labyrinth, einer vielleicht anderthalb Meter breit, der andere nicht mal einen. Ich ging davon aus, daß der breitere den direkteren Weg durch den vollgestopften Dachboden darstellte und daher regelmäßig von dem Priester benutzt wurde, um zu seinem Gefangenen und wieder zurück zur Falltür zu gelangen  – falls es in der Tat einen Gefangenen gab –, und schlüpfte deshalb leise in den schmaleren Gang. Ich zog es vor, Father Tom zu überrumpeln, statt ihm unversehens an irgendeiner Abzweigung dieses Labyrinths zu begegnen.
    Zu beiden Seiten standen Kisten, einige mit Kordel zusammengebunden, andere von Klebeband zusammengehalten, das sich teilweise gelöst hatte und mein Gesicht wie Insektenfühler streifte. Da die Schatten mich irritierten, bewegte ich mich langsam und ertastete mir den Weg mit einer Hand, damit ich nicht gegen einen Karton stieß, um ihn mit einem lauten Scheppern umzuwerfen.
    Ich gelangte an eine T-förmige Kreuzung, betrat sie aber nicht sofort. Ich blieb erst einmal am Rand stehen, hielt den Atem an und lauschte kurz, hörte aber nichts.
    Vorsichtig lehnte ich mich aus dem ersten Durchgang und schaute nach rechts und links in diesen neuen Korridor des Irrgartens, der ebenfalls nur knapp einen Meter breit war. Links von mir war das Licht in der südöstlichen Ecke etwas heller als zuvor. Rechts lag eine

Weitere Kostenlose Bücher