Geschöpfe der Nacht
wollte ihn nicht ohne eigene Pistole allein draußen lassen.
Orson sprang herein und ich schob das Fenster so leise wie möglich wieder zu. Ich verriegelte es auch. Auch wenn ich nicht glaubte, daß wir zur Zeit von Angehörigen des Trupps oder sonst jemandem beobachtet wurden, wollte ich es etwaigen Verfolgern nicht allzu leicht machen, ins Pfarrhaus zu gelangen.
Ich schaltete die Stablampe ein und stellte fest, daß ich mich in einem Eßzimmer befand. Zwei Türen – eine zu meiner rechten, die andere in der Wand gegenüber den Fenstern – führten hinaus.
Nachdem ich die Taschenlampe wieder ausgeschaltet und die Glock gezogen hatte, versuchte ich mein Glück mit der nähergelegenen Tür, der rechten. Dahinter verbarg sich die Küche.Die Leuchtziffern der Digitaluhren an den beiden Öfen und der Mikrowelle spendeten gerade so viel Licht, daß ich den Raum zu der offenstehenden, in ihren Angeln hängenden Tür zum Korridor durchqueren konnte, ohne gegen den Kühlschrank oder die Kochinsel zu stoßen.
Der Korridor führte vorbei an dunklen Räumen zu einer Diele, die nur von einer kleinen Kerze erhellt wurde. Auf einem dreibeinigen, halbmondförmigen Tisch an einer Wand stand ein Schrein für die Jungfrau Maria. Eine Votivkerze in einem rubinroten Glas flackerte unruhig auf dem Zentimeter Wachs, der noch verblieben war.
In diesem unregelmäßig pulsierenden Licht zeigte das Gesicht der Porzellanfigur der Gottesmutter weniger anmutige Schönheit als Leid. Sie schien zu wissen, daß der Bewohner des Pfarrhauses dieser Tage eher ein Gefangener der Furcht denn ein Wegbereiter des Glaubens war.
Mit Orson an meiner Seite stieg ich die beiden breiten Treppenfluchten zum ersten Stock hinauf. Die Gangstermißgeburt und ihr vierbeiniger Komplize.
Der obere Korridor hatte die Form eines L, wobei die Treppe an der Verbindungsstelle der beiden Flügel mündete. Das Stück links von mir war dunkel. Am Ende des Ganges, der geradeaus vor mir lag, war eine Leiter aus einer Falltür in der Decke herabgelassen worden. In einem fernen Winkel des Dachbodens mußte eine Lampe eingeschaltet worden sein, von der nur ein geisterhaftes Schimmern die Leitersprossen hinabglitt.
Stärkeres Licht fiel aus einer offenen Tür rechts von mir. Ich schlich durch den Gang zur Schwelle, schaute vorsichtig hinein und fand Father Toms spärlich möbliertes Schlafzimmer, in dem ein Kruzifix über einem schlichten Bett aus gedunkelter Kiefer hing. Der Priester war nicht hier; offensichtlich befand er sich auf dem Dachboden. Die Bettdecke war entfernt und die Tücher ordentlich zurückgefaltet worden, aber das Laken war nicht zerwühlt.
Beide Nachttischlampen waren eingeschaltet, womit dieser Bereich zu hell für mich wurde, aber mich interessierte das andere Ende des Raums sowieso stärker. Dort stand ein Schreibtisch an der Wand. Unter einer bronzenen Schreibtischlampe mit grünem Glasschirm lag ein aufgeschlagenes Buch und ein Kugelschreiber. Bei dem Buch schien es sich um ein Tagebuch zu handeln.
Hinter mir knurrte Orson leise.
Ich drehte mich um und sah, daß er am Fuß der Leiter stand und mißtrauisch zu dem schwach beleuchteten Dachboden über der offenen Falltür hinaufschaute. Als er zu mir hinübersah, hob ich einen Finger an die Lippen, machte leise »Pst!« und winkte ihn dann zu mir.
Statt also wie ein Zirkushund die Leiter hinaufzusteigen, kam er zu mir. Zumindest für den Augenblick schien er immer noch die Abwechslung zu genießen, mir stets aufs Wort zu gehorchen.
Ich war überzeugt, wenn Father Tom vom Dachboden hinabstieg, würde er genug Lärm machen, um mich rechtzeitig zu warnen. Trotzdem ließ ich Orson auf der Schwelle Position beziehen, von wo aus er die Leiter deutlich im Blick hatte.
Ich wandte das Gesicht vom Licht der Nachttischlampe ab, ging durch das Zimmer zum Schreibtisch und warf dabei einen Blick durch die offene Tür des benachbarten Bads. Niemand war darin zu sehen.
Auf dem Schreibtisch befand sich außer dem Tagebuch auch eine Karaffe, deren Inhalt aus Scotch zu bestehen schien. Neben der Karaffe stand ein Whiskyglas, das mehr als zur Hälfte mit der goldenen Flüssigkeit gefüllt war. Der Priester hatte ihn offenbar pur genippt, ohne Eis. Vielleicht hatte er auch mehr als nur genippt.
Ich nahm das Tagebuch auf. Father Toms Handschrift war so eng und präzise wie eine Maschinenschrift. Da meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen nur wenig Licht zum Lesen brauchten, trat ich in den tiefsten Schatten im
Weitere Kostenlose Bücher