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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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gemeint waren, hätten so falsch geklungen, wie Essig bitter schmeckt.
    Klar, sie wollte mir etwas Wichtiges sagen, brauchte aber Zeit, um die Worte zu ordentlichen Reihen aufzustellen und sie über den Tisch zu mir hinübermarschieren zu lassen. Denn was sie mir zu sagen hatte – es machte ihr angst. Ihre Furcht war deutlich sichtbar: spröde in ihren Knochen und wächsern in ihrer Haut.
    Langsam arbeitete sie sich zum eigentlichen Thema vor. »Ich brachte meiner Mutter gern Sachen, die sie sich nicht selbst holen konnte«, sagte sie. »Ein Glas Eistee. Ein Sandwich. Ihre Medizin. Ein Kissen für den Stuhl. Einfach alles. Später die Bettpfanne. Und am Ende frisches Bettzeug, wenn sie inkontinent war. Ich habe es nie widerwillig getan. Sie lächelte mir immer zu, wenn ich ihr etwas brachte, strich mit ihren armseligen, geschwollenen Händen über mein Haar. Ich konnte sie nicht heilen oder ihr ermöglichen, wieder zu laufen oder zu tanzen, konnte ihr weder den Schmerz noch die Furcht nehmen, aber ich konnte mich um sie kümmern, es ihr bequem machen, ihren Zustand überwachen – und das war mir wichtiger als… als alles andere.«
    Der Apricot Brandy war eigentlich zu süß, um Brandy genannt werden zu können, aber nicht so süß, wie ich erwartet hatte. Und er war stark. Aber wieviel wir davon auch tranken, er schaffte es nicht, daß ich meine Eltern vergaß, oder Angela ihre Mutter.
    »Ich wollte immer nur Krankenschwester werden«, sagte sie. »Und die Arbeit hat mich auch lange befriedigt. Sicher, sie konnte einem auch Angst einjagen und war traurig, beispielsweise wenn wir einen Patienten verloren, aber meistens noch lohnend.« Als sie vom Glas hochschaute, hatte eine Erinnerung ihre Augen groß werden lassen. »Mein Gott, ich hatte solche Angst, als du die Blinddarmentzündung hattest. Ich dachte, ich würde meinen kleinen Chris verlieren.«
    »Ich war neunzehn. Nicht mehr so klein.«
    »Schatz, ich war schon deine Krankenschwester, als du ein Kleinkind warst und man deine Krankheit diagnostiziert hat. Für mich wirst du immer ein kleiner Junge sein.«
    Ich lächelte. »Ich mag Sie auch, Angela.«
    Manchmal vergesse ich, daß die Direktheit, mit der ich meine Gefühle ausdrücke, zumindest ungewöhnlich ist, daß sie die Leute erschrecken und – wie jetzt – tiefer rühren kann, als ich erwartet habe.
    Tränen schossen ihr in die Augen. Um sie zu unterdrücken, biß sie sich zuerst auf die Lippen, doch dann griff sie wieder auf den Apricot Brandy zurück.
    Vor neun Jahren hatte ich so eine Blinddarmentzündung, bei der die Symptome sich erst manifestieren, wenn der Zustand schon akut ist. Nach dem Frühstück hatte ich leichte Verdauungsstörungen. Vor dem Mittagessen war mein Gesicht stark gerötet, dann übergab ich mich und war in Schweiß gebadet. Magenschmerzen zwangen mich, die verkrümmte Haltung eines Shrimps im kochenden Öl einer Friteuse einzunehmen.
    Die Verzögerungen, die erforderlich waren, weil das Mercy Hospital außergewöhnliche Vorkehrungen treffen mußte, brachten mich in Lebensgefahr. Der Chirurg war natürlich nicht von der Vorstellung begeistert, mir in einem dunklen – oder auch nur schwach beleuchteten – OP den Bauch aufzuschneiden und die Operation durchzuführen. Doch ein längerer Aufenthalt in der hellen Beleuchtung des Operationssaals hätte mit Sicherheit zu schweren Verbrennungen sämtlicher Haut geführt, die nicht vor dem grellen Licht geschützt wurde. Er hätte das Risiko eines Melanoms mit sich gebracht und auch die Abheilung des Schnitts behindert. Es war kein Problem, unterhalb der Schnittstelle alles abzudecken, von der Leiste bis zu den Zehen: drei Bettücher aus Baumwolle, die mit Klammern befestigt wurden, damit sie nicht verrutschten. Mit weiteren Laken wurde ein improvisiertes Zelt über meinem Kopf und Oberkörper errichtet, das mich vor dem Licht schützen, aber auch dem Anästhesisten ermöglichen sollte, von Zeit zu Zeit darunterzugreifen, um meinen Blutdruck und meine Temperatur zu messen, den richtigen Sitz der Maske zu überprüfen und sich zu überzeugen, daß die Elektroden des Elektrokardiographen noch auf meiner Brust und den Handgelenken befestigt waren, damit meine Herztätigkeit überwacht werden konnte. Normalerweise wurde der Abdomen bis auf ein Fenster freiliegender Haut an der Stelle des Eingriffs drapiert, doch in meinem Fall mußte dieses rechteckige Fenster so schmal wie möglich sein. Mit selbsthaltenden Wundhaken, die den Einschnitt

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