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Geschöpfe der Nacht

Geschöpfe der Nacht

Titel: Geschöpfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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unerträglich schwer gemacht und wäre daran zerbrochen. Indem ich den Unterschied jedoch akzeptierte, ja mich sogar dafür entschied, ihn willkommen zu heißen, daran zu gedeihen, führte ich ein Leben, das nicht schwerer als die meisten und leichter als manche andere war.
    Angela gegenüber sagte ich kein Wort davon. Wenn sie von Mitleid bewegt wurde, diese Enthüllungen zu machen, würde ich meine Gesichtszüge zu einer Maske des Leidens aufsetzen und mich als die reinste tragische Gestalt präsentieren. Ich würde Macbeth sein. Ich würde der verrückte Lear sein. Ich würde Schwarzenegger in Terminator 2 sein, dazu verdammt, in den Bottich mit geschmolzenem Stahl zu steigen.
    »Du hast so viele Freunde… aber es gibt Feinde, von denen du nichts weißt«, fuhr Angela fort. »Gefährliche Mistkerle. Und einige davon sind seltsam. Sie sind im Werden.«
    Schon wieder dieses Wort. Werden.
    Ich rieb mir den Nacken und fand heraus, daß ich mir die Pinnen, die ich dort spürte, nur eingebildet hatte.
    »Wenn du eine Chance haben willst… überhaupt irgendeine… mußt du die Wahrheit erfahren«, sagte sie. »Ich habe mich gefragt, wo anfangen, wie ich es dir sagen soll. Am besten fange ich wohl mit dem Affen an.«
    »Mit dem Affen?« wiederholte ich wie ein Echo, überzeugt, sie nicht richtig verstanden zu haben.
    »Mit dem Affen«, sagte sie nickend.
    In der jetzigen Situation hatte das Wort eine unausweichlich komische Wirkung, und ich fragte mich wieder, ob Angela noch nüchtern war.
    Als sie schließlich von ihrem Glas aufschaute, waren ihre Augen trostlose Teiche, in denen irgendein lebenswichtiger Teil der Angela Ferryman ertrunken war, die ich von Kindheit an kannte. Aber als ich ihren Blick erwiderte – den öden grauen Glanz –, spürte ich, wie mir die Haut im Nacken zusammenschrumpfte, und mir kam an dem Wort Affe rein gar nichts mehr komisch vor.

12
    »Es war am Heiligabend vor vier Jahren«, sagte sie. »Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang. Ich war in der Küche beim Plätzchenbacken. Ich benutzte beide Herde, die ich habe. Im einen waren die Schokoladenplätzchen, im anderen Nußhäufchen. Das Radio lief. Johnny Mathis war’s wohl, der ›Silver Bells‹ gesungen hat.«
    Ich schloß die Augen, um mir die Küche an jenem Heiligabend vorzustellen – aber auch, um eine Entschuldigung zu haben, Angelas heimgesuchten Blick nicht mehr sehen zu müssen.
    »Rod sollte jeden Augenblick nach Hause kommen«, fuhr sie fort, »wir beide hatten das ganze verlängerte Wochenende über frei.«
    Rod Ferryman war ihr Ehemann gewesen.
    Vor über dreieinhalb Jahren, sechs Monate nach dem Weihnachtsfest, von dem Angela erzählte, hatte Rod in seiner Garage mit einer Schrotflinte Selbstmord begangen. Freunde und Nachbarn hatten es nicht fassen können, und Angela war am Boden zerstört gewesen. Er war ein kontaktfreudiger, stets gutgelaunter Mensch gewesen, den jeder mochte, überhaupt nicht depressiv, und hatte offensichtlich keine Probleme, die ihn dazu hätten treiben können, sich das Leben zu nehmen.
    »Ich hatte den Weihnachtsbaum schon am Nachmittag geschmückt«, sagte Angela. »Wir wollten festlich bei Kerzenschein essen, eine Flasche Wein trinken und uns dann Ist das Leben nicht schön? ansehen. Wir liebten diesen Film geradezu.
    Wir hatten Geschenke eingepackt, jede Menge kleine Geschenke. Weihnachten war unsere liebste Jahreszeit, und wir freuten uns wie kleine Kinder auf die Geschenke…«
    Sie verstummte.
    Als ich wieder hinzuschauen wagte, sah ich, daß sie jetzt die Augen geschlossen hatte. Ihrem verkniffenen Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war ihre lebhafte Erinnerung vom Heiligabend zu jenem Abend im darauffolgenden Juni übergewechselt, an dem sie die Leiche ihres Mannes in der Garage gefunden hatte.
    Nach einer Weile öffnete sie die Augen, aber eine Zeitlang blieb ihr Blick noch ins Leere gerichtet. Sie nippte an ihrem Brandy.
    »Ich war glücklich«, sagte sie. »Der Geruch der Plätzchen. Die Weihnachtsmusik. Und die Floristin hatte einen großen Weihnachtsstern von meiner Schwester Bonnie gebracht. Er stand am Ende der Arbeitsplatte, so rot und strahlend. Ich fühlte mich wunderbar, wirklich wunderbar. Es war das letzte Mal, daß ich mich so wunderbar gefühlt habe – und je wieder fühlen werde. Also… ich löffelte Teig auf ein Backblech, als ich dieses Geräusch hinter mir hörte, ein seltsames leises Zwitschern, und dann so etwas wie ein Seufzen, und als ich mich umdrehte, saß ein

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