Geschöpfe der Nacht
er zuvor nicht bemerkt hatte. Wut kam in ihm hoch.
Er und der andere fielen in den Sand oder die Erde der Aufgrabung. Rafe konnte freikommen, bearbeitete den anderen Körper mit Kniestößen und Fausthieben, rollte herum und blickte auf. Wieder ragte die erste Gestalt über ihm, und nun sah er, daß sie einen Knüppel in der erhobenen Hand hielt.
Er rollte wieder, und der Knüppel sauste neben ihm auf die Erde. Er war auf den Füßen, bevor der Angreifer sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Langsam und schwerfällig, wie eine Gestalt aus einem Traum, richtete der Mann sich wieder auf und hob seinen Arm. Rafe zielte auf die Stelle zwischen Kopf und Schultern und trieb einen harten Faustschlag hinein. Der andere sackte rückwärts, fiel und lag im Scheinwerferlicht des Wagens, ein grobschlächtiger Mann von vielleicht vierzig Jahren mit einem Messer im Gürtel, der nun beide Hände an seinem Hals hatte und röchelnd zu atmen versuchte.
»Du hast Glück gehabt, daß ich nicht besser sehen konnte«, keuchte Rafe zornig. »Ich hätte dir den Hals gebrochen.«
Auf einmal wurde ihm bewußt, daß das summende Gefühl in ihm verschwunden war. Doch nun, da er daran dachte, setzte es wieder ein. Es wuchs in ihm, ein häßliches, unnatürliches Gefühl, daß sein Körper ohne seine Zustimmung gebraucht wurde. Er blickte wieder auf den Mann, der am Boden lag und würgte.
»Ja, tatsächlich«, sagte er zu sich, »diese Burschen sind Schlafwandler.« Er ging zu dem anderen Mann, den er zuerst getroffen hatte, und beugte sich über ihn. Er war besinnungslos.
Rafe wandte sich um und untersuchte den Wagen. Das Vorderrad war in einer flachen, sandigen Ausgrabung.
Zwei Meter rechts war der Straßenbelag intakt. Die Wegelagerer hatten die Warnlampen umgestellt und nur das Loch in der Straße als vermeintliche Durchfahrt freigehalten.
Rafe stieg ein und startete den Motor. Er ließ den Wagen vorsichtig vor und zurückrollen. Die Räder drehten durch und wühlten sich in den Sand, aber nach einer Weile hatte der Wagen soviel Schwung, daß das Vorderrad festen Boden erreichte.
Er schaltete die volle Antriebskraft auf das Vorderrad, und mit einem Ruck und einem Vorwärtsschaukeln zog der Wagen sich aus der Mulde.
Er fuhr weiter und grub die gesuchte Adresse aus seinem Gedächtnis – Busher Drive 5514. Er schaltete die Orientierungshilfe ein, die nun eine Übersichtskarte von Des Moines zeigte. Er war nicht weit von seinem Ziel. Schon nach einer Minute bog er nach rechts in eine sanft gekrümmte Straße ein und rollte sie langsam entlang, während er im Licht der Straßenlaternen nach den Hausnummern Ausschau hielt.
Die Häuser zu beiden Seiten waren alt und groß. Häuser wie diese waren in den letzten fünfzig Jahren nicht mehr gebaut worden. Sie lagen ein gutes Stück von der Straße zurück inmitten ansehnlicher Grundstücke mit hohen Bäumen, durch Hecken, Zäune oder Mauern gegen Sicht von der Straße abgeschirmt.
Bald darauf fand er das gesuchte Haus. Es hatte einen zwei Meter hohen Maschendrahtzaun mit zwei Strängen Stacheldraht darüber und einer dichten Hecke dahinter. Das Tor war vergittert und hatte Sichtblenden, aber der gemauerte Pfeiler rechts neben der Einfahrt trug die Nummer 5514.
Rafe hielt und stieg aus. Er probierte das Tor, aber es war verschlossen, wie er erwartet hatte. Er blickte am Zaun hinauf, aber Stacheldraht und Hecke schreckten ihn ab. Einen Moment dachte er daran, das Tor mit dem Wagen aufzusprengen.
Aber es gab nicht genug Raum, um das Fahrzeug auf die nötige Geschwindigkeit zu bringen, und außerdem sah das Tor sehr stabil aus. Er blickte die Straße entlang. Eine der großen Ulmen, die den Straßenrand säumten, streckte ein paar von ihren ausladenden Ästen über das Grundstück des Hauses 5514.
Der Stamm war so dick, daß er ihn nicht annähernd umfassen konnte, und die untersten Äste waren vielleicht fünf Meter über dem Boden. Er schnallte seinen Gürtel ab, zog ihn aus den Schlaufen. Er zog das Ende durch die Schnalle an seinem linken Handgelenk, dann warf er den Gürtel um den Stamm und fing das Ende mit der Rechten auf. Langsam, behindert von der rauhen, dickrissigen Borke und der Unbeholfenheit seiner verlangsamten Reflexe, begann er sich den Stamm hinaufzuarbeiten.
Nach einigen Minuten kam er in Reichweite des untersten Astes, zog sich hinauf und verschnaufte. Dann legte er seinen Gürtel wieder an und hielt Umschau.
Der Ast, auf dem er war, gehörte nicht zu denen, die
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