Geschöpfe der Nacht
dessen Bereich wir mit automatischer Steuerung durchfliegen, uns herunterholen wird, sofern niemand an Bord ist, der wach bleibt und den Autopiloten ausschaltet? Und daß eine Maschine dieser Größe nicht ausgerüstet ist, unter Flughafenkontrolle zu landen? Wenn Sie uns in einen Sendebereich fliegen, werden wir als Schrotthaufen auf irgendeinem Landeplatz enden!«
Plötzlich brach er ab. Seine Augen wurden schmal und starrten Rafe durchbohrend an. »Oder vielleicht rechnen Sie damit, daß Sie nicht einschlafen werden«, sagte er. »Was sind Sie? Eine Art von Schlafwandler?«
»So könnten Sie es nennen«, antwortete Rafe.
Er erwartete, daß der eine oder der andere von ihnen nach dieser Auskunft weitere Fragen stellen würde. Aber keiner tat es. Pao Gallot saß unbeweglich und blickte zum Fenster hinaus. Forebringer lehnte sich zurück und verschränkte wieder die Arme vor seiner Brust, wie ein Mann, der zu einer Entscheidung gekommen ist.
3
»Ich weiß nicht, welche Fähigkeit Sie zu besitzen glauben, um dem einschläfernden Effekt zu widerstehen«, sagte Pao Gallot nach längerer Pause. »Aber wenn Sie über diejenigen Bescheid wissen, die ihm widerstehen können, dann wissen Sie auch, daß nicht zwei Menschen gleich reagieren. Mehr als vier Jahre sind vergangen, seit Sie auf der Erde waren, und damals war noch keine Zapfstation zur Erzeugung drahtloser Energie in Betrieb. Sie haben also keine wirklichen Erfahrungen, wie Ihr Organismus auf die Ausstrahlung drahtloser Energie reagieren wird …«
»Ich besuchte eine der Versuchsstationen«, sagte Rafe. »Das war ein Jahr, bevor ich zum Mond ging.«
Pao Gallot seufzte leicht und blickte wieder zum Fenster hinaus. Das Land unter ihnen war vom Schein der untergehenden Sonne gerötet, aber der Osthimmel dunkelte bereits, und am Horizont voraus funkelten die Lichter einer Stadt aus graublauem Dunst. Irgendwo dort kauerte eine Kraftstation mit ihrem riesigen Sendemast über einem Schacht, der fünfhundert Kilometer tief ins glutflüssige Erdinnere getrieben war; die Hitze und der Druck am unteren Ende dieses Schachts würden bald genutzt werden, um die schweren Turbogeneratoren anzutreiben, deren drahtlos ausgestrahlte elektrische Energie die Umformerstationen und Fabriken versorgte – und über erstere auch die Stadt dort unten. Geschah dies, so verzerrte die Energieausstrahlung die Alpharhythmen menschlicher und tierischer Gehirne im Bereich der Sendeantenne, und die Körper, zu denen die Gehirne gehörten, schliefen ein, ob sie Schlaf brauchten oder nicht. Aus diesem Grund begannen die Energieausstrahlungen niemals vor Sonnenuntergang.
»Also schön«, sagte Pao Gallot, sichtlich beunruhigt über die mißliche Lage, in der sie sich so kurz vor Beginn der Sendezeit immer noch befanden, »Sie haben einmal erlebt, wie Sie unter Energieausstrahlung reagierten. Sie fanden, daß Sie nicht so unwiderruflich einschliefen wie andere. Sie entdeckten, daß Sie sich umherbewegen konnten, obwohl Ihre Gehirnströme im erzwungenen Alpharhythmus waren. Vielleicht konnten Sie nicht nur schlafwandeln, sondern Ihre schlafwandlerische Aktivität sogar bis zu einem gewissen Grad steuern. Aber ist Ihnen auch klar, wieviel mehr wir heute über den erzwungenen Alphazustand wissen, verglichen mit der Zeit, als die ersten Versuchsmodelle von Kraftstationen erprobt wurden? Wir wissen heute, daß nicht nur nervöse Reaktionen betroffen sind – das Urteilsvermögen wird ebenso beeinträchtigt. In einem von der Energieausstrahlung erzeugten Alphazustand können Sie der Überzeugung sein, daß Sie Ihre Handlungen recht gut koordinieren und ausführen, aber ein Film, zur gleichen Zeit von Ihnen aufgenommen, würde zeigen, wie Sie herumstolpern, langsam, unbeholfen und unsicher in Ihren Bewegungen – wie ein Betrunkener oder jemand, der unter Drogeneinwirkung steht. Aber Ihnen selbst bliebe dies verborgen. Genau wie ein Betrunkener würden Sie sich im vollen Besitz Ihrer Fähigkeiten wähnen.«
»Das ist das Problem mit Menschen wie Lee – und all den anderen Milliarden Erdenbürgern«, sagte Rafe. »Jede Nacht sind sie betrunken, ob sie es wollen oder nicht, und die Folgen beginnen sich zu zeigen.«
»Sie hören mir nicht zu«, sagte Pao Gallot.
»Nein. Sie sind es, der mir nicht zuhört«, erwiderte Rafe. »Warum stellen Sie die Sendungen nicht für eine Woche ein und beobachten, welche Auswirkungen sich in der Weltbevölkerung zeigen?«
»Eine Woche einstellen?« schnaubte
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