Geschöpfe der Nacht
diesen Träumen war.«
Sie schüttelte sich.
»Als ich wieder zu Hause war, sagte Ab mir immer, ich solle tagsüber schlafen, niemals nachts, wenn die Sender eingeschaltet waren. Und er trainierte uns, den Sendungen zu widerstehen und wach zu bleiben.«
»Sagte er, warum Sie nachts nicht schlafen sollten?«
»Es war etwas …« Sie runzelte die Brauen. »Ja, das war es. Es hatte mit Verwundbarkeit zu tun. Er glaubte, jeder könnte im Laufe der Zeit Schäden davontragen, wenn er während der Sendungen in natürlichem Schlaf wäre. Also gab ich es auf, nachts zu schlafen. Er und Lukas machten es genauso.«
»Was sagte Ab über die Schlafwandler?« fragte Rafe. »Hatte er irgendeine Idee, wie sie zu ihrer natürlichen Immunität gekommen sind?«
»Er glaubte nicht, daß es etwas wie eine natürliche Immunität gebe«, antwortete sie. »Er erklärte mir, daß es unter den Tieren keine Schlafwandler gebe, die eine Immunität gegen die Sendungen zeigten. Er sagte, alle diese Leute seien entweder bewußt darauf trainiert, den Einfluß der Alphawellen auf ihre Gehirne zu kontrollieren, oder sie hätten sich unbewußt selber resistent gemacht.« Sie musterte ihn neugierig. »Wie ist es bei Ihnen? Sie zeigen eine wirkliche Immunität, und Ab hatte nicht an Ihnen gearbeitet. Was macht Sie immun?«
»Ab hat wahrscheinlich recht«, sagte Rafe. »Ich habe über diese ganze Problematik gelesen, was ich konnte – und ich ärgerte mich immer, wenn jemand etwas tun konnte, das ich nicht schaffte. Was ich las, führte mich zum Joga, und damit arbeitete ich eine Weile. Man könnte also sagen, daß ich mich sowohl bewußt als auch unbewußt selbst trainiert habe.«
»Sehr wirkungsvoll trainiert, würde ich sagen«, meinte Gabrielle. »Sie bewegen sich, als ob es leicht wäre.«
»Machen Sie sich nichts vor«, erwiderte er. »Wenn ich gehe, ist es wie ein Waten in brusttiefem Wasser, und wenn ich mich gehenließe, würde ich in zehn Sekunden eingeschlafen sein.«
»Als Sie im Haus gegen diese Schattengestalten kämpften, die ich nicht sehen konnte, hatte ich nicht den Eindruck, daß Sie sich wie in brusttiefem Wasser bewegten.«
»Sie dürfen nicht vergessen, daß unsere Wahrnehmungen verlangsamt sind«, sagte er. Dann fuhr er nach einer Pause fort: »Aber vielleicht ist etwas daran. Heute nacht passierte es zweimal, daß ich glaubte, um mein Leben kämpfen zu müssen, und beide Male schien ich von den Wirkungen der drahtlosen Energie befreit zu sein …«
Er beschrieb den Kampf an der Straßensperre und das Summen und Dröhnen, das seit Beginn der Sendung in ihm war, ausgenommen während jener gewalttätigen Episoden.
»Es könnte sein, daß das Adrenalin des Körpers den Einfluß vorübergehend neutralisiert«, sagte er nachdenklich. »Aber das würde mich wundern, denn Adrenalin wirkt stimulierend, und Sie haben gesehen, wie ich auf Dexedrin reagierte. Andererseits scheint der Whisky dieses Dröhnen zu dämpfen, und Alkohol wirkt beruhigend …«
Wie er daran dachte, fühlte er sich sofort schlechter. Sie fuhren seit geraumer Zeit, und der dämpfende Effekt des Scotch, den er vor dem Verlassen des Hauses getrunken hatte, war fast vergangen. Er hatte das Gefühl ignoriert, aber nun, da er es erwähnte, schien es verstärkt wiederzukehren.
»Ich hätte daran denken sollen, die Whiskyflasche mitzunehmen«, sagte er. »Ich verstehe nicht, warum das Zeug hilft, aber es ist so. Man fühlt das Dröhnen nicht so.«
Gabrielle griff hinter sich und nahm ihre kleine Reisetasche vom Rücksitz. Sie öffnete sie und zog eine kleine Laboratoriumsflasche heraus, die mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllt war. Der Glasstöpsel war mit weißem Klebeband gesichert.
»Ich hatte nicht viel Platz, also brachte ich reinen Alkohol statt einer Schnapsflasche mit«, sagte sie. »Ich dachte, Sie könnten ihn mit Wasser mischen. So ist er natürlich nicht genießbar. Wir müssen etwas finden, womit wir ihn verdünnen können.«
Er befragte den Kartenausschnitt der Orientierungshilfe.
»Zwanzig Kilometer weiter ist ein Rasthaus«, sagte er.
Er zog das Fahrzeug von der schnellen Fahrspur und ließ es allmählich auslaufen. Das Rasthaus war im rustikalen Blockhüttenstil erbaut. Die Fensterläden waren geschlossen, die Türen verriegelt, aber es gab Wasser, das aus einem Speier in einen Holztrog plätscherte.
Tassen oder Trinkgefäße gab es nicht. Rafe fand eine Straßenkarte von Des Moines im Handschuhfach und faltete sie zu einer Tüte.
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