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Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Petri
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Umstrukturierung traditioneller Familienmuster zum Glück bis heute nichts Entscheidendes zu verändern vermocht. Im Gegenteil lässt sich das Prinzip generationenübergreifender Verantwortung häufig besonders dort beobachten, wo Familien von starken Umbrüchenbetroffen sind, speziell bei Scheidungen und in alternativen Familienformen. Der Onkel und die Tante werden hier zu wichtigen Hilfsobjekten in der Versorgung und Erziehung der Kinder. Die tiefere Gefühlsbasis der Verantwortung findet sich noch in der Wortabstammung der Begriffe »Onkel« und »Tante« wieder. Der Onkel entspricht dem heute ungebräuchlichen Begriff »Oheim«. »Das Grundwort ist wahrscheinlich das germanische Adjektiv ›haimaz‹ = ›vertraut, lieb‹, das zu der Wortgruppe ›Heim‹ gehört.« Der Begriff Tante »ist eine Weiterbildung von dem auch im lateinischen ›amare‹ = ›lieben‹ vorliegenden kindlichen Lallwort ›am(m)a‹«. 28 Die Liebe schließt den Kreis der Generationen. Der »liebe« Onkel und die »liebende« Tante erfüllen in der Liebe zu den Kindern ihrer Geschwister, was sie in der Geschwisterliebe erfahren haben.
    Das Prinzip der Verantwortung bezieht sich aber nicht allein auf die Kinder der Geschwister. Vielmehr wird es im mittleren Erwachsenenalter zu einem konstituierenden Merkmal der Geschwisterliebe selbst. Seine Vorläufer haben wir zusammen mit anderen höher entwickelten Gefühlsqualitäten bereits im frühen Erwachsenenalter kennen gelernt. Aber erst der gefestigte Status als Erwachsener macht die Verantwortung zu einem wichtigen Grundpfeiler unseres Fühlens und Handelns. Dieser Reifungsschritt hängt mit folgender Erfahrung zusammen: Erwachsensein erweitert unser Bewusstsein für die Schattenseiten menschlicher Existenz. Im Erwachsensein summieren sich die Erfahrungen mit Verlusten jeder Art, mit Enttäuschungen, beruflichen Krisen, mit eigenen Grenzen, eigenem Versagen, Fehlern, Irrtümern und Verschulden. Damit wächst das Leiden an sich selbst wie an einer Welt tragischer Unzulänglichkeiten. Die Erkenntnis von Krankheit und Tod wird zum ständigen Begleiter.
    Alle diese Grunderfahrungen und Einsichten sind aus einem erwachsenen Leben nicht wegzudenken. Wenn sie altersgemäß verarbeitet werden, verwandelt sich das Leiden an den eigenenkritischen Lebensereignissen zu einer Verantwortung im Sinne des Mit-Leidens, der Sym-Pathie, für andere.
    Die nahe und lebenslange Verbundenheit zwischen Geschwistern scheint eine besonders günstige Basis für solche Gefühle der Sym-Pathie zu bilden. Sie erklären die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Geschwisterliebe jetzt speziell in Notsituationen bewährt, die Sorge, Unterstützung, Verlässlichkeit, Empathie und Vertrauen erfordern – sei es in der konkreten Hilfe, im Gespräch oder im Trost. Verantwortungsgefühl und Sym-Pathie im mittleren Erwachsenenalter beruhen zudem stärker als in früheren Entwicklungsphasen auf Gegenseitigkeit, weil im Laufe des länger währenden Lebens Glück und Unglück erfahrungsgemäß jetzt gleichmäßiger auf die Geschwister verteilt sind.
    Ja, auch das Glück. Denn nicht nur Unglück verbindet; dies tut es nur, wenn auch das Glück geteilt werden kann. Das gilt, dialektisch, auch umgekehrt: Teilnahme am Glück des anderen ist nur dort möglich, wo das Gefühl besteht, auch im Unglück nicht alleine zu sein. Symbolischen Ausdruck findet das gemeinsame Glück am erkennbarsten in Feiern und Festen. Sie sind Rituale der geteilten Freude. Hochzeiten, Geburten, Taufen, Kommunion, Konfirmation, Geburtstage, Hochzeitstage, Examina und besondere Berufserfolge bilden die wichtigsten Höhepunkte der lebenslangen Teilnahme am Glück des anderen. In der Regel sind sie Anlass für eine Gratulation. Die Übersetzung des lateinischen Wortes »gratulatio« lautet: Glückwunsch, Danksagung und Freudentag. Die dreifache Wortbedeutung kann auch als Metapher für die Geschwisterliebe gelten: dem anderen Glück wünschen für sein Leben, ihm danken, dass es ihn gibt, und sich gemeinsam darüber freuen, ein Geschwister zu haben und ein Geschwister zu sein.
    Im Glück und Unglück vereint sein. Diese meist mit der Heirat verbundene Formel für das optimale Maß erfüllter Gemeinsamkeitbetrifft die Geschwisterliebe in einer das Leben überdauernden Zeitspanne. Spätestens im mittleren Erwachsenenalter stellt sich heraus, ob die längste Beziehung des Lebens diese Formel einlöst, oder ob die Unfähigkeit zum Teilen von Glück und Unglück

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