Geschwister - Liebe und Rivalitaet
werden sie endgültig in die Großelterngeneration verbannt.
Ich möchte die Thematik der Großeltern-Enkel-Beziehung hier nicht ausdrücklich vertiefen, weil sie das Verhältnis der Geschwister nur indirekt berührt. Entscheidend für die Wiederannäherungsphase bleibt die Ablösung von den Kindern, ihre innere und äußere Entfernung, mit dem man sich äußerlich wieder dem kinderlosen Zustand annähert. Auch wenn der Kontakt zu den Kindern nicht abreißen muss, mündet die erste kindfreie und die zweite kindzentrierte Lebensphase in eine dritte Ablösungsphase, die bekanntlich von vielen Eltern als schmerzhafter Verlust und Abschied erlebt wird; dies besonders, wenn man durch den zusätzlichen Verlust eines Lebenspartners durch Trennung, Scheidung oder Tod im höheren Alter jetzt mit dem endgültigen Alleinsein konfrontiert ist. Die Kinder wurden im mittleren Drittel der Lebensspanne, die zugleich die Zeit größter Lebensfülle war, zu sinnstiftenden Objekten der Liebe, des Schutzes, der Verantwortung und Fürsorge und gleichzeitig zu Spendern von Gegenliebe und Dankbarkeit.Mit dem Verzicht auf diese zentralen menschlichen Erfahrungen, die durch Enkel nur teilweise ersetzt werden können, vertieft sich die Erkenntnis von der Endlichkeit des Lebens. Die Geschwister werden zu Verbündeten der »letzten Generation«.
Aus der Geschwisterforschung ist bekannt, dass die Wiederannäherung im höheren Lebensalter mit einer größeren Versöhnungsbereitschaft verbunden ist, die der Geschwisterliebe in reichem Maße zugutekommt. Möglicherweise hängt diese Versöhnungsbereitschaft mit der zunehmenden Auflösung der lebensphasischen Widersprüche zusammen: Kindsein – Erwachsensein, Intimität – Distanz, kinderlos – kindzentriert. Versöhnung ist die Einheit der Gegensätze. Es ist bekannt, dass sich Geschwister im späteren Lebensabschnitt begangene Fehler leichter verzeihen können. Wie überhaupt die negativen Affekte von destruktiver Rivalität und Neid abnehmen und sich die weicheren Gefühle wieder stärker durchsetzen. Die Wiederentdeckung der Geschwisterliebe in der Wiederannäherungsphase bedeutet in der Praxis konkrete Hilfe und emotionale Unterstützung in den sich mehrenden Schwierigkeiten dieses Lebensalters; sie bedeutet aber auch Austausch über die gemeinsamen Wurzeln der Kindheit und die Aufarbeitung der bisher unbewältigten Konflikte. Alle diese Schritte erfüllen auch die Funktionen der Wiedergutmachung. Wie in jeder anderen Beziehung wird man auch in der Geschwisterliebe schuldig durch Unterlassung und Versäumnis, durch Kränkung und feindliche Verletzung. Durch die Wiedergutmachung können Schuldgefühle abgetragen und die antagonistischen Kräfte versöhnt werden. Mit der Fähigkeit zur Wiedergutmachung und der Vergebung wechselseitig begangenen Unrechts erfüllt die Geschwisterliebe die schwierigste Aufgabe, die an die Lösung zwischenmenschlicher Konflikte gebunden ist. Auf dieser Stufe und im Zusammenhang mit der noch einmal grundlegenden Umstrukturierungdes Lebens im Alter erfährt die Geschwisterliebe eine letzte Wandlung. Stärker als in den früheren Lebensperioden entwickelt sich jetzt ein Gefühl tiefer Geschwisterfreundschaft, in der nahezu alle libidinös-sexuellen und aggressiven Impulse neutralisiert sind – Freundschaft als Einheit aller positiven Kräfte, die Menschen aneinander binden.
Von einem dritten großen Verlust ist noch zu sprechen, von der endgültigen Verarbeitung des Berufsendes im Alter. Wenn einmal die Grenzen der beruflichen Entwicklung erreicht sind, verändert sich auch die innere Orientierung. Ehrgeiz, Erfolgsdenken, Besitz- und Machtstreben nehmen in dem Maße ab, wie die Einsicht in die Relativität der Dinge wächst. Dieser Prozess verläuft jedoch in der Regel nicht konfliktfrei. Das bevorstehende Ende der Berufstätigkeit und dann noch einmal ihr definitiver Abschluss bedeuten für die meisten Menschen einen schmerzlichen Lebenseinschnitt, weil mit dem Berufsverlust viele Werte verabschiedet werden müssen, die bis dahin das innere und äußere Gleichgewicht und das Selbstwertgefühl immer wieder stabilisiert haben, wie fachliche Autorität und Anerkennung, Aufgabe und Verantwortung, soziale Kontakte, Sinnerfülltheit und Befriedigung durch die geleistete Arbeit, finanzielle Freiräume und vieles mehr. Je bewusster der Umbruch verarbeitet wird, umso gelassener erfolgt auch ein innerer Perspektivwechsel. Zum Glück schließt sich hier für die
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