Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Geschwister - Liebe und Rivalitaet

Titel: Geschwister - Liebe und Rivalitaet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Petri
Vom Netzwerk:
Überblick zeigt: Der Unterschied ist der Regelfall imemotionalen und pädagogischen Umgang mit den Geschwistern; er entspricht der Komplexität menschlicher Beziehungen, die in der Wechselseitigkeit von Bedürfnissen, Gefühlen, Hoffnungen und Enttäuschungen ihr jeweils einmaliges Gepräge bekommen. Rein theoretisch muss der Unterschied nicht zur Bevorzugung oder Benachteiligung von Geschwistern führen. Aber in der Realität ist er fast immer, wenn auch meist unbeabsichtigt, mit Ungleichheit und Ungerechtigkeit gepaart. Die Überzeugung der meisten Eltern, ihre Kinder in gleichem Maße zu lieben, entstammt, wie die Illusion von der gleichen Erziehung, einem Wunschdenken, in dem sich das Ideal der Eltern-Kind-Beziehung erfüllt. Dieses Eltern-Ideal wurde mit Übernahme der Elternrolle als kategorischer Imperativ verinnerlicht. Aber Beziehungen sind bekanntlich viel stärker durch unbewusste Gefühle, Fantasien und Wünsche beeinflusst als von Idealen, die von unserem Über-Ich, unserem Gewissen, diktiert werden. Es sind die unbewussten Trieb- und Gefühlsanteile, die, oft tragischerweise, die Ungleichheit in Ungerechtigkeit umschlagen lassen und diese zum quasi unvermeidbaren Schicksal jeder Eltern-Kind-Beziehung machen. Wenn die bewusste Überzeugung der Eltern, ihre Kinder in gleicher Weise zu lieben, der Realität entsprechen würde, müsste sich dies in übereinstimmenden Gefühlen der Geschwister ausdrücken. In den meisten Geschwisterbeziehungen weichen jedoch die Meinungen darüber ab; viele Geschwister haben das Gefühl, am wenigsten geliebt worden zu sein, während die anderen angeblich die »besonderen Lieblinge« der Mutter, des Vaters oder beider Eltern waren. Das kann objektiv richtig sein, ist aber ebenso häufig das Ergebnis einer Wahrnehmungsverzerrung. Die subjektive Täuschung kommt dadurch zustande, dass Kinder die subtilen Gefühlsanteile im Erziehungsprozess sehr genau registrieren. Ihre hohe Sensibilität für alle Formen des Unrechts lässt sie bei sich selbst die erlittenen Verletzungen,Kränkungen und Zurückweisungen als Ausdruck von Lieblosigkeit schärfer wahrnehmen und in Erinnerung halten als bei den Geschwistern. Bei diesen sehen sie dagegen ihre eigenen Wünsche nach Liebe durch die Eltern eher erfüllt, weil sie entsprechende Anzeichen selektiv registrieren und einseitig bewerten.
    Die Wahrnehmungstäuschung hat noch einen tieferen Grund. Jedes Kind hat ein mehr oder weniger deutliches Gefühl für sein eigenes Versagen, für seine Schwächen, Bosheit, Aggressivität und andere negative Anteile. Das damit verbundene Schuldgefühl und sein strafender Charakter werden zur Entlastung des eigenen Gewissens auf die Eltern projiziert, nach der inneren Formel: »Sie können mich gar nicht so lieb haben wie die anderen Geschwister, weil ich so böse bin.«
    Therapeuten stehen hier oft vor großen Schwierigkeiten, die subjektive »Wahrheit« des Patienten und die objektive Realität zu unterscheiden, weil die Verzerrungen und Erinnerungslücken teilweise ein groteskes Ausmaß annehmen können.
    Wie wir sehen, gibt es zwei verschiedene Formen, wie Ungleichheit und Ungerechtigkeit erlebt werden können: eine objektive, die sich aus dem unvermeidbaren Beziehungsschicksal zwischen Eltern und ihren Kindern ergibt, und eine subjektive, die das Ergebnis der persönlichen Verarbeitung an sich normaler Beziehungsdefizite, eigener Schuldgefühle und verzerrter Vergleiche zwischen den Geschwistern ist. Erst diese komplexe Mischung aus objektiver und subjektiver »Wahrheit« bildet den explosiven Kern für die Entladung destruktiver Geschwistergefühle.
    Märchen, Mythen, Sagen und die literarische Gestaltung von Geschwisterproblemen beschränken sich meist auf die objektiven Gründe für die ungleiche Behandlung von Geschwistern. Sie arbeiten mit Schwarz-Weiß-Gegensätzen, um Gefühle und Verhaltensweisen sowohl der Eltern als auch der Geschwisterzu erklären. Eigenschaften wie faul, dumm, hässlich, bösartig und verlogen bei dem einen Geschwister werden durch Qualitäten wie fleißig, begabt, hübsch, friedfertig und ehrlich bei dem anderen kontrastiert. Diese Spaltung in das böse und das gute Kind macht die elterlichen und geschwisterlichen Reaktionen scheinbar verständlich, rechtfertigt sie und verleiht ihnen die beabsichtigte pädagogische Wirkung. Erst die tiefenpsychologische Erforschung unbewusster Beziehungsmotive hat die notwendige Differenzierung eingeführt und die Gründe geklärt,

Weitere Kostenlose Bücher