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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
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also, dass sich Angst ausbreitet und den Beschwichtigern langsam, aber sicher die Argumente ausgehen. Im naiven Vertrauen auf unsere Fähigkeit, die Risiken der Technik beherrschen zu können, haben wir uns auf einen gefährlichen Blindflug begeben. Jetzt, da die Szenerie erhellt wird, erkennen wir mit Entsetzen, worauf wir uns eingelassen haben. Vielleicht bleibt uns in dieser Lage ja gar nichts anderes übrig, als mit Hans Jonas auf die Angst als »heuristisches Prinzip« zu setzen. Aber hieße das im Kern nicht, die Angst dadurch zu überwinden, dass man sie in Furcht und die Furcht in Sorge verwandelt?
     
    Was so lange so erstaunlich gut funktionierte, die Kleinarbeitung von Gefahren zu Risiken, funktioniert immer weniger.
Ulrich Beck hat dieses Phänomen in seinem Buch Die Risikogesellschaft analysiert und ist ihm einige Jahre nach dessen Erscheinen in dem Band Politik in der Risikogesellschaft noch einmal nachgegangen: »Die ›Restrisikogesellschaft‹ ist eine versicherungslose Gesellschaft, deren Versicherungsschutz paradoxerweise mit der Größe der Gefahr abnimmt. (...) An die Stelle der Nachsorge, die Sicherheit in der Gefahr verbürgt, tritt das Dogma technischer Irrtumslosigkeit, das der nächste Unfall widerlegt. Hüter des Tabus wird die Königin des Irrtums, die Wissenschaft.« 18 Wie François Ewald gezeigt hat, führt dies zu einer folgenreichen Umdeutung des Risikos im Bewusstsein der Menschen: »Das Risiko ist zu einer ontologischen Größe geworden. Fortan ist das Leben in einem essenziellen Sinn prekär. Der Tod ist nicht mehr das Jenseits des Lebens, er ist vielmehr dem Leben eingeschrieben, begleitet das Leben in der Form des Risikos – vom infinitesimalen Risiko einzelner Umweltbelastungen bis hin zum totalen Risiko einer Katastrophe oder der nuklearen Bedrohung.« 19 Das aber heißt nichts anderes, als dass aus dem Risiko als einer bezüglich seiner Eintrittswahrscheinlichkeit berechenbaren Möglichkeit eine jederzeit präsente Bedrohung wird.
     
    Das eigentliche Problem ist, sollte man meinen, nicht die Angst, sondern das, was Angst macht. Aber heute wirkt sich erschwerend aus, dass die Dynamik des globalisierten Kapitalismus viele Menschen entwurzelt und sie somit radikal vereinzelt, ihnen den Schutz und die Sinnhaftigkeit gemeinschaftlicher Strukturen nimmt und ihrem Leben die Chance der Planbarkeit. Sie werden hinausgestoßen in eine Konfrontation mit Risiken und Unwägbarkeiten, die allenfalls Heroen bewältigen könnten. Das Ergebnis ist bei immer mehr Menschen eine grassierende Angst, ein tief im Gemüt nistendes
Gefühl der Verunsicherung, das, wenn es von den Medien noch geschürt wird, leicht zu hysterischem Verhalten, womöglich zu Exzessen der Gewalt führen kann. Barry Glassner, Professor für Soziologie an der University of Southern California in Los Angeles, hat in seinem Buch The Culture of Fear (Die Kultur der Angst) dieses Phänomen am Beispiel der USA beschrieben. Inzwischen ist sein Befund auch für die deutsche Gesellschaft vielfach bestätigt worden.
     
    Es ist ein verstörender Befund, den Richard Wilkinson und Kate Pickett in ihrem Buch The Spirit Level – Why Greater Equality Makes Societies Stronger anhand einer Fülle empirischen Materials belegen: nämlich dass, »während die Wohlstandsgesellschaften reicher wurden, gleichzeitig das Niveau der Angst, der Depression und zahlreicher sozialer Probleme ständig anstieg« 20 Für die beiden Autoren gibt es keinen Zweifel, dass daran die durch die marktradikale Mobilisierung angetriebene Entwicklung zu immer ungestümerem Wachstum und zu immer größerer Ungleichheit einen erheblichen Anteil hat. »Größere Ungleichheit geht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit erhöhter Statuskonkurrenz und Angst vor Statusverlust einher.« 21 Es zeigt sich dies auch daran, dass in Gesellschaften mit hoher Ungleichheit das Misstrauen gegenüber den Mitbürgern bedeutend höher ist als in Gesellschaften mit größerer Gleichheit. 22 Die Neigung zu aggressiver Konfliktlösung nimmt ebenso zu wie das Mobbing am Arbeitsplatz. Wenn dazukommt, dass stabile Lebensgemeinschaften und Nachbarschaften unter dem Druck von Statuskonkurrenz und wachsenden Mobilitätsanforderungen zerbrechen, wenn die globalisierten Marktbeziehungen einerseits als irrationale Schicksalsmacht erscheinen und andererseits jedes Individuum
angehalten wird, die Verantwortung für seinen Status bei sich selbst zu suchen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dies zu

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