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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
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technikgläubigen amerikanischen Militärs zunehmend auf Automatisierung. Die Kampfroboter sollen so weiterentwickelt werden, dass sie selbstständig und angeblich fehlerfrei Kämpfer von Zivilisten sowie Feinde von Freunden unterscheiden können und die Entscheidung zur Tötung treffen. Hier wiederholt sich dieselbe katastrophale Fehlentwicklung im Denken, die in der Endphase des Ost-West-Konflikts die automatische Antwort als Lösung des Problems schrumpfender Reaktionszeiten empfahl: Um menschliches Versagen auszuschalten, machen wir uns abhängig von autonom funktionierenden technischen Systemen und geraten so in eine radikale Abhängigkeit, die uns nur scheinbar der Verantwortung für die Folgen enthebt. Es ist anzunehmen, dass die Neigung, Konflikte militärisch zu lösen, die in den USA ohnehin groß ist, durch diese militärtechnologische Tendenz weiter befördert wird.
     
    Dabei haben die Anschläge vom 11. September 2001 und die nachfolgenden von Madrid und London sowie die Kriege im Irak und in Afghanistan eigentlich deutlich gemacht, dass es auch nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes für uns keinen militärisch geschützten Frieden geben kann. Kleine Gruppen, sogar einzelne Personen, können, wie der moderne Terrorismus Woche für Woche beweist, mit bescheidenen Mitteln die hochgerüstete westliche Welt in Angst und Schrecken versetzen. Entsprechend panisch hat denn auch die Politik, vor allem in den USA, auf die neue Lage reagiert. »Diese Möglichkeit, dass ein einzelnes Individuum den totalen Krieg beginnen kann, ist furchteinflößend, denn das verändert
die traditionellen Kräfteverhältnisse, in denen während des Großteils der Menschheitsgeschichte gelebt und gedacht wurde. Das hat eine Panik erzeugt, nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch eine Panik des Politischen, dem gegenüber jeder Maßstab verloren ging, besonders in den USA.« 31
     
    Für den Westen und seine angeschlagene Führungsmacht, die USA, bedeutet die langsam ins Bewusstsein dringende Erkenntnis, dass auch die gewaltigste militärische Macht und die ausgeklügelsten Kontroll- und Warnsysteme letztlich keine Sicherheit schaffen können, dass vielmehr die nach unseren wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Maßstäben am weitesten entwickelten Gesellschaften besonders verwundbar sind, eine tiefgehende Erschütterung des Selbstbewusstseins. Erst allmählich dämmert es den Politikern in den USA, dass der Krieg gegen den Terrorismus nicht zu gewinnen ist. Weil der Westen aus dem historisch einmaligen Glücksfall der friedlichen Revolution im Sowjetimperium nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen hat, ist an die Stelle des Gleichgewichts des Schreckens nicht eine neue Weltfriedensordnung getreten, sondern eine Konstellation, die man als Ungleichgewicht des Schreckens (Virilio) bezeichnen könnte, eine Konstellation, in der auch die ökonomisch und militärisch Mächtigsten die totalitäre Zerstörungskraft der Ohnmächtigen fürchten müssen.
     
    Was in den achtziger Jahren den Menschen in Mitteleuropa schlagartig bewusst wurde, als die Pentagon-Planungen bezüglich eines führbaren Atomkriegs ruchbar wurden, nämlich, dass die Logik der Rüstungseskalation sie zur schutzlos ausgelieferten Dispositionsmasse im Konflikt der Machtblöcke degradierte, das gilt heute praktisch überall auf der Welt. Überall auf der Welt beginnen die Menschen zu begreifen,
dass auch der mächtigste Staat und die wachsamsten Geheimdienste sie nicht wirksam schützen können. Dabei geht es gar nicht in erster Linie darum, dass Terroristen oder den Terrorismus fördernde Staaten demnächst über Atomwaffen verfügen könnten. Das ist in der Tat wahrscheinlich, wenn die Proliferation dieses Waffensystems in der gleichen mäßigen Geschwindigkeit fortschreitet wie in den letzten fünf Jahrzehnten. Aber Terroristen brauchen, wie wir gesehen haben, gar keine Atomwaffen, um mitten in den Machtzentren der westlichen Welt unermessliche Zerstörung anzurichten. Herkömmlicher Sprengstoff, biologische Waffen und erst recht kleine Mengen strahlenden Materials genügen dazu vollkommen. Wenn sich im Machtgefüge der Welt nichts grundlegend verändert, spricht vieles dafür, dass alle diese im Prinzip leicht zugänglichen Waffen in den nächsten Jahren in der westlichen Welt zum Einsatz kommen. Damit wird die Verstrahlung ganzer Metropolen wie New York, London, Paris oder Berlin, die Vergiftung von Millionen Menschen durch einen einzelnen Täter oder

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