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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
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modernen Menschen, gottgleiche Allwissenheit und Allmacht und damit Kontrolle über alle Lebensprozesse zu erlangen, gescheitert ist. Die eine Zeitlang erfolgreich verdrängte Angst kehrt zurück und sie nimmt panische Züge an, wenn wir erkennen, dass die Instrumente und Systeme, die wir zum Zwecke unserer Machterweiterung geschaffen haben, sich längst verselbstständigt haben. Martin Buber hat in seinem Buch Das dialogische Prinzip die heutige
Lage früh so beschrieben: »Die Heizer häufen noch die Kohlen, aber die Führer regieren nur noch zum Schein die dahinrasendenen Maschinen. Und in diesem Nu, während du redest, kannst du es wie ich hören, dass das Hebelwerk der Wirtschaft in einer ungewohnten Weise zu surren beginnt; die Werkmeister lächeln dich überlegen an, aber der Tod sitzt in ihren Herzen. Sie sagen dir, sie passten den Apparat den Verhältnissen an; aber du merkst, sie können fortan nur noch sich dem Apparat anpassen, solange er es eben erlaubt.« 56
     
    Die Krise der Moderne, die bei Buber noch in den Bildern der prädigitalen, fordistischen Welt zum Ausdruck gelangt, ist in erster Linie die Krise des Westens. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass aus ihr etwas positiv Neues, eine konviviale Welt, eine der Natur des Menschen angemessenere Lebensweise hervorgeht. Aber um die Krise in diesem Sinne produktiv auflösen zu können, müssten wir sie zunächst einmal anerkennen, müssten wir die Notwendigkeit zu einem grundlegenden Kurswechsel begreifen. Das fällt den meisten von uns auch deswegen schwer, weil trotz aller offensichtlichen Fehlentwicklungen die Vorbildfunktion des Westens in der Welt immer noch groß ist. Wenn wir uns heute in der Welt umschauen, so sehen wir zwar neue aufsteigende Mächte wie China, Indien oder Brasilien, die ihre Mitspracherechte immer nachdrücklicher geltend machen, aber insgesamt ist die Dominanz der westlichen Länder nach wie vor erdrückend. Es wird sich hieran trotz des rasanten Tempos, in dem einige Schwellenländer aufholen, und trotz der unübersehbaren Schwächung der USA und Europas in nächster Zeit wohl auch wenig ändern. Zudem folgt der Aufstieg der Schwellenländer weitestgehend derselben Logik, die die Dominanz des Westens hervorgebracht hat. Damit aber tragen die westlichen Länder auf absehbare Zeit, ob es ihnen gefällt
oder nicht, auch weiterhin die Hauptverantwortung für den Zustand der Welt.
     
    Macht und Verantwortung sind nun einmal nicht voneinander zu trennen. Das wird im Prinzip auch von den meisten westlichen Politikern nicht geleugnet, obwohl sie sich immer noch scheuen, daraus die richtigen, die verantwortungsvollen Konsequenzen zu ziehen. Kaum war Deutschland im Jahre 1990 vereinigt und damit mit Abstand der mächtigste Staat in Europa geworden, war allenthalben die Rede davon, dass Deutschland nun auch mehr Verantwortung übernehmen müsse. Zuvor hatten sich die beiden deutschen Staaten, wenn es um internationale Verpflichtungen ging, meistens mit Erfolg in den Schatten ihres jeweiligen Großverbündeten geduckt. Das, so die fast einhellige Meinung in der Politik und in der veröffentlichten Meinung, sei nun nicht mehr möglich. Aber diese richtige Einsicht führte nicht zu dem naheliegenden Entschluss, die Entwicklungshilfe aufzustocken, sich für faire Austauschbeziehungen mit den Ländern Afrikas einzusetzen oder entschlossen auf Abrüstung und eine Eindämmung des Rüstungsexports zu drängen. Vielmehr ließen sich die Deutschen in fragwürdige Kriege hineinziehen und glaubten ausgerechnet am Hindukusch die Freiheit verteidigen zu müssen. Schlagartig wurde deutlich, was hier in Wirklichkeit mit Verantwortung vor allem gemeint gewesen war: die Demonstration der eigenen Macht.
     
    Allerdings ist es, genau besehen, mit dem Selbstbewusstsein der Mächtigen in der westlichen Welt heute nicht mehr allzu weit her – von dem alten Sendungsbewusstsein des 19. und 20. Jahrhunderts gar nicht zu reden. Seit sich gezeigt hat, dass das Schwellenland China die durch den Zusammenbruch der Lehman-Bank ausgelöste Weltfinanzkrise sehr viel besser überstanden hat als die westlichen Länder, seit die Schuldenkrise in Europa und in den USA, die zu einem erheblichen
Teil die Folge der Bankenkrise ist, die Handlungsfähigkeit der Staaten untergräbt, geht im Westen die Angst vor einem unabwendbaren und unumkehrbaren Niedergang um. Aber statt nun wirklich globale Verantwortung zu übernehmen, tun wir alles, um unseren schwindenden

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