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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
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die auf Prävention statt auf Strafverfolgung gerichtet sind, leiden an einem Geburtsfehler: Sie sind ihrem Wesen nach schwer mit rechtsstaatlichen Prinzipien wie der Unschuldsvermutung, dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder den Diskriminierungsverboten vereinbar.« 64
     
    So richtig der Gedanke ist, nicht erst dann tätig zu werden, wenn die Armen dieser Erde in Hungeraufständen plündernd und mordend durch die Viertel der Reichen ziehen, wenn die radikale Verknappung wichtiger Rohstoffe zu brutalen Ressourcenkriegen führt, wenn die Erderwärmung große Teile der Erde unbewohnbar macht und eine neue Völkerwanderung auslöst, so grundfalsch ist es, bei kriminellen oder kriegerischen Gefahren das Eintreten der konkreten Tat quasi vorwegzunehmen und präventiv gegen Menschen vorzugehen, die sich – noch! würden die Sicherheitsfanatiker sagen – nichts haben zuschulden kommen lassen. Gerade weil das Versicherungsprinzip heute an Grenzen stößt, weil wir in immer mehr Bereichen unkalkulierbare und daher nicht versicherbare Risiken eingehen, kommt es zu einer gefährlichen Überdehnung des Präventionsgedankens. Gerade weil Europa, die westliche Welt, die Weltgesellschaft insgesamt sich bisher politisch als unfähig erweisen, den großen bedrohlichen Fehlentwicklungen entschlossen gegenzusteuern, breitet sich eine lähmende Katastrophenangst aus, sinkt die Risikotoleranz, erschallt überall der Ruf nach vorbeugender Ausschaltung möglichst aller Gefahrenpotenziale.
     
    Nur wenn wir diesen Zusammenhang im Auge behalten, haben wir die Chance, die Menschen für die Einsicht zu gewinnen, dass es für die Aufrechterhaltung von Freiheit und
Rechtsstaatlichkeit entscheidend ist, sich nicht in die Vorstellung hineintreiben zu lassen, dass die Gesellschaft erst dann in Ordnung ist, wenn alle Risiken ausgeschaltet werden. Nur so lässt sich auch verhindern, dass, wie wir es erst kürzlich wieder im Vorfeld der Weltfinanzkrise erlebt haben, Angst und Risikoscheu plötzlich in ein blindes und selbstzerstörerisches Draufgängertum umschlagen. Wer in Freiheit leben will – das ist die einfache Wahrheit, die es wieder bewusst zu machen gilt – muss lernen, mit Unsicherheit zu leben und mit Angst gelassen umzugehen. Ein gewisses Maß an bewusster Risikotoleranz gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen einer dynamischen und innovativen Gesellschaft, ist unerlässlich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In diesem Sinne betont auch Herfried Münkler: »Moderne Gesellschaften können bei Strafe der Selbstzerstörung also weder auf eine Maximierung von Risiken noch auf eine Maximierung von Sicherheit setzten, sondern müssen in komplementär angelegten Strategien der Sicherung Welten der Sicherheit mit Kulturen des Risikos verbinden, damit daraus eine nachhaltige Sicherheit entsteht.« 65
     
    Gehör finden kann diese Botschaft aber nur, wenn wir unbeherrschbare Risiken wie bei der Nukleartechnik oder bei Tiefseebohrungen zur Ölgewinnung in Zukunft nicht mehr eingehen. Wenn es uns gelingt, die sich wie ein Schatten über unsere Gesellschaft legenden Großgefahren wie die Erderwärmung oder die Rohstoff-, Wasser- und Nahrungsmittelknappheit durch koordinierte politische Maßnahmen der Weltgesellschaft abzuwehren oder zumindest abzumildern. Wenn wir für mehr Gleichheit bei Einkommen, Besitz und Macht sorgen und damit die wichtigste Ursache sozialer Missstände nach Möglichkeit beseitigen. Denn eine vernünftige Balance zwischen Risikotoleranz auf der einen und technisch-organisatorischer
Sicherheit auf der anderen Seite können wir nur einhalten, wenn wir Grund haben, einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft zu blicken, und wenn wir uns nicht ständig selbst überfordern.

2. Sinnvolle Dezentralisierung oder kommunitaristische Regression
    Die globalisierte Welt mit ihren der politischen Kontrolle entwachsenen chaotischen Prozessen und Interdependenzbeziehungen wirkt auf viele Menschen heute wie ein Meer voller unvorhersehbarer Gefahren. Wenn in einem viele tausend Kilometer entfernten Winkel der Welt eine ansteckende Krankheit ausbricht, haben wir Grund, uns vor Ansteckung zu fürchten; Bürgerkriege und soziale Missstände in Asien und in Afrika führen dazu, dass immer mehr verzweifelte Menschen aus fernen Ländern in Europa einen Platz zum Überleben suchen und für uns zum Problem werden; Rating-Agenturen in Übersee entscheiden über das Wohl und Wehe ganzer Volkswirtschaften in Europa; ein anonymer Dämon namens

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