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Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit

Titel: Gesellschaft in Angst - Zwischen Sicherheitswahn und Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johano Strasser
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Dieselbe negative Dialektik betonen auch Zygmunt Baumann und Herfried Münkler: »Das Projekt der Abschottung gegen die Polyphonie des städtischen Lebens in den Enklaven kommunitärer Einförmigkeit ist so selbstzerstörerisch wie selbstverstärkend. (...) Mit zunehmender Neigung zur Homogenität wächst der Horror vor dem Fremden draußen vor der Tür.« 70 »Je eingemauerter oder eingezäunter die Gemeinschaft ist, desto bedrohlicher und feindlicher wird für sie die Welt außerhalb, was zu einem weiter wachsenden Sicherheitsbedürfnis führt, noch höheren Mauern, noch größerem Misstrauen gegenüber Fremden etc.« 71
     
    Flüchten oder angreifen, das sind die Alternativen, vor die sich Tiere gestellt sehen, wenn sie bedroht werden. Der Mensch dagegen hat im Laufe der Geschichte subtile Techniken und Systeme entwickelt, die ihm auch andere Wege eröffnen, sich zu schützen. Heute, da diese Techniken und Systeme in vielen Fällen versagen, neigen einige Menschen zur Flucht hinter die Mauern einer möglichst homogenen Gemeinschaft. Was aber, wenn man in seiner Fluchtburg sich trotzdem nicht sicher fühlt, wenn die Abgeschlossenheit einem erst recht das Gefühl gibt, von bösen Mächten umzingelt zu sein? Wir wissen, dass Tiere, auf der Flucht in die Enge getrieben, oft mit verzweifelter Aggression reagieren. Etwas Ähnliches scheint es auch bei Menschen zu geben, unabhängig davon, ob sie sich freiwillig aus der großen Gesellschaft zurückgezogen haben
oder ob sie in die Isolation abgeschoben wurden. Wo immer Menschen sich aus der großen Gesellschaft mit ihren Fremdheitszumutungen absondern, um Schutz und Geborgenheit in einer möglichst homogenen Gemeinschaft zu finden, entwickelt sich allzu leicht jene berüchtigte Wagenburgmentalität, die zu wahnhaften Bedrohungsfantasien und zu aggressiven Ausfällen gegen alle neigt, die allein schon, weil sie nicht zur eigenen Gemeinschaft gehören, als Feinde wahrgenommen werden.
     
    Das tiefe Misstrauen dörflicher Gemeinschaften gegenüber dem Landstreicher, dem Herumtreiber ohne Heim und Herd, der bis heute anhaltende Hass auf die Zigeuner , die massiven Vorbehalte gegenüber Schwarzen in der US-amerikanischen Suburbia-Mittelschicht und neuerdings die pauschale Verdächtigung von Muslimen als potenzielle Terroristen, alle diese Phänomene stammen weitgehend aus derselben Quelle. Wenn in den modernen Wagenburgen die Angst zunimmt, findet sich auch schnell eine Gruppe von Fremden, die an allem schuld ist, was als Beeinträchtigung oder Bedrohung empfunden wird. Gefahren, die von der modernen Technik, der modernen Wirtschafts- und Lebensweise ausgehen, werden in Bedrohungen durch einen identifizierbaren Urheber uminterpretiert: So wird aus Umweltverschmutzung Brunnenvergiftung, aus einem durch technisches Versagen ausgelösten Brand Brandstiftung, aus einem Unfall ein terroristischer Anschlag. Das geradezu Tragische ist, dass die hier zu beobachtende Umdeutung der modernen Gefahren in die Bedrohung durch äußere Feinde Abwehrmaßnahmen nahelegt, die die Bedrohungslage eher verschärfen, als sie abzumildern, und damit das Gefühl der Unsicherheit zumeist noch erhöhen. Dabei ist unsere Situation heute gerade dadurch gekennzeichnet, dass die größten Gefahren aus unserer eigenen Lebensweise, aus den Widersprüchen unserer eigenen Welt und unseres eigenen Handelns herrühren. Hier , bei uns selbst
und nicht irgendwo »da draußen« hätten wir also anzusetzen, wenn es darum geht, mehr Sicherheit zu gewinnen.
     
    Die Tendenz zur Abschottung in möglichst homogenen Gemeinschaften sollte freilich nicht mit sinnvoller Dezentralisierung verwechselt werden. Die weitere pauschale Zentralisierung der Entscheidungs- und Versorgungsstrukturen wäre genau so wenig eine vernünftige Antwort auf die modernen Sicherheitsprobleme wie die Flucht in die vermeintliche Idylle der homogenen Gemeinschaft. Im Gegenteil: Hoch zentralisierte Strukturen sind wegen der großen Zahl zu verarbeitender Informationen besonders fehleranfällig; sie neigen dazu, die von Ort zu Ort, von Gruppe zu Gruppe differierenden Bedürfnisse an der Basis zu vernachlässigen oder zu verfehlen, sie haben erhöhte Transportkosten und Transportverluste zur Folge, verursachen, wenn etwas schiefgeht, wesentlich größere Schäden als dezentrale Strukturen und sind deswegen bevorzugte Ziele für kriegerische und terroristische Angriffe. Aus all diesen Gründen sind sie oft weniger leistungsfähig als dezentrale

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