Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
Vom Netzwerk:
Menschenmassen. Am Times Square fiel Kurt in eine riesige Werbung hinein und kam mehrere Blocks weit nicht mehr aus ihr heraus. Über seinem Kopf rauschten die Slogans, neben seinem Kopf, in seinem Kopf. Es war elf Uhr. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wen er an diesem Tag um elf Uhr hätte treffen sollen. Sein Leben lief irgendwo, fern von ihm, weiter, während er durch die Straßen ging, Menschen sah, die ihn nicht sahen.
    Bis zum Mittag waren die Temperaturen stark gestiegen, achtzehn, zwanzig Grad mussten es inzwischen sein. Kurt war den Broadway hinabgelaufen, der bronzene Stier glänzte vor ihm in der Sonne, Kurt passierte die vor Schwere berstenden Hinterschenkel, den schnaubenden Kopf des Tiers, und sah in die Bucht von Manhattan. Er betrachtete die Eichhörnchen im Battery Park, die an hingeworfenen Krumen nagten, er betrachtete die Freiheitsstatue in derFerne. Freiheit, was für ein Unsinn, dachte Kurt. Er wandte sich wieder der Straße zu, ließ seinen Blick über die zahllose Menge ähnlicher Wesen schweifen, mechanisch gingen sie ihrer Wege, hastig, getrieben, blind.
    Er blickte auf Ampeln und Autos. Frauen in kurzen Kostümröcken eilten vorbei, hinter tausend Fenstern brannten Lichter, obwohl es helllichter Tag war, Schilder verkündeten: going out of business , Menschen in Anzügen und Windjacken verließen die Wall Street, Raucher standen vor der Börse. Erneut kam Kurt an dem Bronzebullen vorbei, wieder die Freiheitsstatue in der Ferne, er war im Kreis gegangen, wieder die knabbernden Eichhörnchen, die, sobald er sich ihnen näherte, auf einen nahen Baum flohen. So wie die Eichhörnchen wich an diesem Tag alles vor ihm zurück. Eine beeindruckende Weite umgab ihn. Er wusste nicht, ob er sich befreit oder einsam fühlte.
     
    Am 12. Mai war er nicht im Waldorf Astoria erschienen, am 13. hatte er ein Treffen mit Kiesbert von Weiden ausfallen lassen, ohne eine Nachricht zu schicken, am 14. ging er mittags nicht ins Bloom’s, nachmittags erschien er nicht zu seiner Verabredung mit dem Einkaufsleiter der Badabteilung von Macy’s, wegen der er eigentlich angereist war, und abends ging er nicht in den Club und auch nicht zum Kulturabend des Deutschen Vereins.
    Am 15. Mai ließ er den Kauf des Apartments in der 68th Street platzen. Kurts Frau Carola hatte sich die Wohnung gewünscht, hatte sie ausgewählt, hatte sie im Geiste schon eingerichtet, ihren winzigen Palast mitten im Lärm der Großstadt. Fünf Zimmer, ausgelegt mit Mahagoni-Parkett (Oxford-Verband), in denen zuvor die Gattin eines französischen Sozialisten gelebt hatte. Ererbte Tische und Truhen und Tuche, die hoch versichert über den Atlantik geschafft worden waren und Madame zwischen sich eingeschlossen hatten.
    Während die Maklerin vor dem Haus wartete und ein verzweifeltes Gespräch mit dem Doorman begann, ein so großes Geschäft löste sich nicht einfach in Luft auf, was der Doorman mit einem Nicken quittierte, zog Kurt ziellos durch die Stadt, wie ein wildgewordenes Tier. Gegen vier kehrte er von seinen Streifzügen zurück, die nirgendwo hinführten und ihn doch einen großen Teil des Tages gekostet hatten. Er betrat das Hotel, dessen Eingangsbereich nach scharf gereinigtem Teppichboden stank, in einer Schale lagen alte Minzbonbons, und da sah er sie, umgeben von ihrem Kofferbataillon. Sie verhandelte mit dem Rezeptionisten, der ihr eine Cola aus der Minibar auf die Rechnung gesetzt hatte, die sie nicht getrunken haben wollte.
    Nur vier Nächte, sagte Kurt, als er dicht neben ihr stand. Zu teuer?
    Sie drehte sich zu ihm um, anscheinend erleichtert, von dem Ärger um die Cola abgelenkt zu werden. Sie könne jetzt ihre Wohnung beziehen, in Redhook, Brooklyn, die Wände seien noch nicht fertig gestrichen, sie lachte, auch wenn ich nicht glaube, dass sie je vorhatten, sie zu streichen. Vier Nächte reichten ihr, dieses Hotel sei ja eine Zumutung. Dabei war das hier New York, nicht Sizilien, hier galten Verträge, oder nicht?
    Aber Sie haben mir das Haus empfohlen, bemerkte Kurt. Ob er ihr mit den Koffern behilflich sein könne.
    Sie wehrte höflich ab. Kurt war erstaunt, ja empört, er wünschte, ihr behilflich zu sein, sie aber gehorchte ihm nicht. Plötzlich war er nur ein aufdringlicher alter Mann, der eine junge Frau hofierte. Er hob zwei Gepäckstücke an, einen Koffer und die Tasche, ein abscheuliches gelbes Ding. Solche Taschen kannte er aus den Achtzigern, als billiges Werbegeschenk. Er trug das Gepäck

Weitere Kostenlose Bücher