Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
zum Bordsteig und winkte in den Verkehr. Nein, rief ihn die Frau zurück, ein Taxi sei zu teuer. Er insistierte, die Metro sei umständlich bei so viel Gepäck. Mag sein, entgegnete sie.
Die Menschen in der Metro gehörten nicht in seine Welt. Sie waren zu jung und zu lässig gekleidet, Jackett kombiniert mit Jeans, T-Shirt und Flipflops zur Aktentasche, einige trugen Anzüge, dazu Nikes. Die Zähne glänzten, und plötzlich war alles um ihn herum gealtert. Kurt war von einer Gruppe in Falten gelegter Rentner umgeben, die laut und mit mehligem Südstaatenakzent schwatzten. Die Fahrt war eine Tortur, und er verlor Fanny drei Haltestellen lang aus den Augen. Dann war sie wieder da und dirigierte ihn durch die unterirdischen Gänge zu einer anderen Linie, mit der sie, wie Fanny ihm versprach, ihr Ziel erreichen würden.
Sie kamen an einer Station an, die von gewaltigen Metallstreben zehn Meter über den Erdboden gestemmt war und etwa zwei Kilometer von ihrem Ziel entfernt lag. Die Rollkoffer schrappten über das unebene Pflaster, die Taschen trug Kurt. Er wollte Fanny etwas fragen, er wollte sich nach ihrer Herkunft oder wenigstens nach ihrer Reise erkundigen, aber er hatte nicht genügend Atem, nicht genügend Kraft. Er blickte auf die zweistöckigen Häuser, die Straßenzüge sahen hier europäischer aus als in Manhattan, aber von einem Europa, das kurz vor dem Abriss stand.
Sie gingen an Garagentoren mit Graffiti vorbei, gesprayte Sternenbanner, Revolver, Genitalien, sie passierten dreckige Fenster und aufgebrochene Eingangstüren. Selbst die Vorderseiten der Häuser sahen nach Hinterhöfen aus. An einigen Hauswänden liefen zickzackförmig Feuerleitern hinauf, eine Flucht aus diesen Häusern schien Kurt tatsächlich wünschenswert. Sie passierten verrostete Autos, die unmöglich noch fahren konnten und dennoch fuhren, sie kamen an verlebten Männern vorbei, die Hunde ausführten, an hochschwangeren Frauen, die in wenigen Wochen ein Kind in diese Misere setzen würden. Vor einem Wohnblock hieß Fanny ihn anzuhalten. Da waren sie also, dachte Kurt. Die Tür war zertreten und dreckig, ein Fenster eingeschlagen und mit Pappe provisorisch repariert. Neben den Klingeln hatte jemand mit Filzstift I was here an die Wand geschrieben, als sei es eine Heldentat, hier gewesen zu sein. Fanny dankte ihm und nahm ihm die beiden Taschen ab, die er eben noch getragen hatte. Resolut. An diesem Ort bestimmte sie. Dies war nicht Kurt Tietjens Revier.
Sie drückte eine Klingel, dankte ihm erneut und gab ihm zu verstehen, dass ihre Bekanntschaft nun an ihr Ende gelangt war. Knackend wurde durch die Gegensprechanlage Unverständliches mitgeteilt, doch die Haustür war ohnehin nicht versperrt. Fanny wuchtete die Taschen und Koffer in den Hausflur, nickte Kurt zu und verschwand hinter der Grenze aus Milchglas und Metall.
Er blieb eine Weile vor dem Haus stehen, blickte hinauf. Oben, im vierten Stock, ging in einem Fenster das Licht an, es mochte ihre Wohnung sein oder die einer anderen Person. Das Haus trug die Nummer 347.
Kurt hatte nicht auf den Weg geachtet, er lief einfach los und spürte plötzlich bleiern das Gewicht der gelben Tasche, die er noch immer über der Schulter trug. Hatte Fanny es so eilig gehabt, von ihm fortzukommen, dass sie nicht einmal auf ihre Habseligkeiten geachtet hatte? Die Gegend lag rauh um ihn, sein Anzug wirkte hier lächerlich. Als er an den East River kam, auf der anderen Seite Manhattans, sah er, wie weit er sich von dem entfernt hatte, was einst seine Wirklichkeit gewesen war.
Kurt hatte, wenn er in New York gewesen war, in der Upper East Side gewohnt, wenigstens zwei Mal im Jahr war er hergereist. Er gehörte zur Upper East Side, er gehörte noch immer zu ihr, auch wenn er den Kaufvertrag für das Apartment nicht unterschrieben hatte.
Als Jugendlicher war er nach New York geschickt worden, um sein Englisch zu verbessern, ein paar Wochen lang vom stumpfen Geruch des Internats befreit und gefangen in dem ewig blühenden Parfumgeruch einer alternden Bekannten, deren Haut vor lauter Nachtcreme im Dunkeln phosphoreszierte. Er hatte während seines Aufenthaltes diesen und jenen kennengelernt, Kurt, you have to meet Richard , und dann musste er mit den Töchtern von diesem oder jenem im Central Park spazieren gehen oder auf einem Tennisplatz hin und her hüpfen, was ihm bemerkenswert schlecht gelang. Er interessiere sich nicht für Sport, und die in Chanelduft eingelegte Gastmutter machte sich
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