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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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Zufällige daran verblüffte ihn. Er folgte einfach den anderen Passagieren, die hier den Bus verließen. Die Frau mit den Taschen verzögerte die Weiterfahrt, skeptisch barg sie ihre Habseligkeiten aus dem Gepäckraum, untersuchte jedes Stück in aller Ruhe, und in der Tat, an einer Tasche waren Kratzspuren zu sehen, die vermutlich vom Metall des Businneren stammten.
    Während der Fahrt hatte Kurt sie beobachtet, ihren Hinterkopf, ihr Profil, ihre Schultertasche, die sie neben sich in den Gang gestellt hatte, ihre Hand, die über den abgenutzten Taschenstoff gefahren war. Sie schien in ihrer eigenen Welt zu sein. Es war Kurt nicht entgangen, dass sie hübsch war, aber das war es nicht gewesen, was seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Erst am Ende der Fahrt, als er sie erneut mit ihrem Gepäck vor dem geöffneten Bauch des Busses stehen sah, meinte er sagen zu können, was ihn faszinierte. Nicht ihr Gesicht war es, weder ihre Haltung noch ihre Figur, es war genau genommen nichts, was man gemeinhin als bewundernswert empfand. Es war der Ausdruck vollkommener Gleichgültigkeit gegenüber der Umgebung und dem, was diese von ihr verlangte.
    Nachdem der Bus abgefahren war, hatte er sie angesprochen. Kurt Tietjen, der Unterhaltungen mied, wenn er nur konnte, hatte sie angesprochen, im letzten Moment, ehe sie über die Kreuzung gelaufen und im unüberschaubaren Manhattan verschwunden war.
    Ob sie sich auskenne?
    Nein, ja, ein wenig. Normalerweise wohne sie nicht in Manhattan, es sei doch zu teuer hier.
    Sie sprachen englisch miteinander, sie ein wenig hastig, er mit deutschem Akzent. Er sei das erste Mal hier? Nein, nein – er sei schon mehrmals – Sie warfen sich einige Sätze hin und her, Nichtigkeiten, mit denen man ein Gegenüber kurz zum Bleiben zwang. Sie empfahl ihm ein Hotel am Port Authority oder vielmehr nannte sie es, es sei nah und billig, auch sie wohne dort.
    Kurz darauf betrat Kurt zum ersten Mal ein Hotel, das ihm aufgrund seiner niedrigen Preise genannt worden war, ein schummriges Gebäude, in das er sich nach kurzem Zögern einquartierte. Durch die schmutzige Glastür konnte er hinaus auf die Straße sehen. Dort, von hundert Meter hohen Gebäuden flankiert, strömten ununterbrochen Menschen vorbei, sie kamen ihm wie seltsam widerstandsfähige Lebensformen am Grund einer Gebirgsspalte vor.
    Sein Zimmer war trostlos, das Bett ein Wrack, die Handtücher im Bad nicht mehr als Lappen, der Ausblick ein Lichtschacht. Hoch oben, zwischen den Spitzen der Hochhäuser, schien die Sonne, aber das Licht reichte nicht bis zu seinem Fenster hinab. Allein der Fernseher funktionierte einwandfrei und zeigte Menschen, die alle gleich und alle anders als Kurt aussahen. Das war ihm früher nie aufgefallen, vielleicht, weil er nie Zeit gehabt hatte, den Menschen im Fernsehen ins Gesicht zu blicken, er hatte den Fernseher nur als Lärmpegel gegen die Schlaflosigkeit eingeschaltet, als letzten Ausweg, um die Stille eines morgendlichen Hotelzimmers zu ertragen. Er hatte überhaupt selten Zeit gehabt, jeder Tag war von seiner Sekretärin in kleine Häppchen eingeteilt worden, halbstündige Termine, Eröffnungen, Gespräche, Sitzungen, jetzt floss die Zeit um ihn, und er wusste nicht recht, wie er sie begrenzen konnte. Er überflog die Gästeinformationen, erfuhr, dass der Frühstücksraum von sieben bis zehn Uhr geöffnet war – das gab ihm eine Chance, die Frau noch einmal zu treffen, wenn er auch fürchtete, das Frühstück könne zu schäbig sein, um sie zu interessieren.
    Die Gesichter, die ihm auf dem Hotelflur und in der trostlosen Lobby begegneten, blieben für ihn flüchtig. Allein dass auch sie, die Frau mit den Koffern, hier wohnte, gab ihm ein diffuses Gefühl von Sicherheit. Er wusste nicht, wie lange sie bleiben würde, was sie hierherbrachte, er wusste nicht, in welchem Zimmer sie wohnte, nur, dass es im dritten Stockwerk lag, dort war sie aus dem Fahrtstuhl gestiegen, während er weiter hinaufgefahren war.
     
    Am nächsten Morgen sollte er kein Glück haben, obwohl er ab sieben Uhr im Frühstücksraum ausharrte, den zunehmend skeptischen Blicken der Angestellten ausgeliefert. Erst um kurz nach halb elf verließ er den mit Neonlicht gefluteten Raum, noch immer hungrig, denn er hatte kaum etwas gegessen, und der Geruch von altem Kaffee verfolgte ihn. Draußen war es kalt wie im Vorfrühling, als seien die gestrigen Temperaturen nur eine Täuschung gewesen. An den Straßenecken schoss der Wind um Müll und

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