Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
bereits nach dem ersten Glas eingesetzt, ein heller, freundlicher Schmerz, der die Gedanken wegdrückte.
Seit langem habe sie aus dieser Stadt weggewollt, erzählte Fanny, aber wie so vieles habe auch das nicht geklappt, und jetzt sei sie eben wieder hier. New York. Zum Leben unerträglich, wenn man kein Geld besaß.
Kurt lehnte sich zurück, seine Hand lag nah bei ihrem Nacken, er hätte bloß die Finger strecken müssen, um ihre Haut zu berühren. Er hörte ihre Stimme, die weich und kraftlos war, und wenn sie stockte, stellte er eine Frage, damit sie weitersprach.
Fanny hatte in ihrem Leben vieles werden wollen, und vieles war sie nicht geworden, vielleicht, sagte sie, wäre es ihr auch nicht bekommen. Sie habe ja gesehen, was aus den Menschen wurde, die Karriere machten, selbst im Schlaf waren sie auf Abruf, um vier Uhr morgens sprangen sie aus dem Bett, damit sie rechtzeitig zur Arbeit kamen, ihr wäre das auf Dauer nicht bekommen. Vermutlich aber bekam ihr vor allem das Leben nicht, das sie stattdessen erhalten hatte. Denn was hatte sie schon erhalten, sagte sie. Da waren sie bereits bei der zweiten Flasche Wein, und ihr fiel nicht mehr ein, was genau es nun war. Nichts, sagte sie schließlich, ich habe nichts bekommen, und begann zu kichern. Kurt strich mit der Hand über ihren Unterarm. Er konnte sich nicht erinnern, dass er jemals zuvor zu derart leichten Berührungen fähig gewesen war. Vielleicht hatte ihn seine schwere Armbanduhr bislang daran gehindert, vorhin hatte er sie von seinem Handgelenk gelöst und in seine Jacketttasche gleiten lassen, die Metalluhr von Hublot, er wollte nicht zu erkennen geben, dass er Geld besaß. Er betrachtete Fanny, ihr schmales, feines Gesicht, ihren gewichtlosen Körper, ihren Vogelkörper, sie war fast noch ein Mädchen, viel zu jung für ihn, oder vielmehr war er viel zu alt für sie. Er wollte ihr seinen Körper nicht zumuten, nicht seine rauhe Haut, seinen fauligen Atem.
Er hätte gern gewusst, wofür sie ihn hielt. Für den Angestellten eines Logistikunternehmens? Einen Handlungsreisenden? Den Mitarbeiter eines IT-Unternehmens? Sicherlich nicht für jemanden, der wohlhabend war, obwohl das, was sie als wohlhabend bezeichnete, nicht ganz dem entsprach, was er sich darunter vorstellte. Kurt Tietjen konnte in diesem Moment alles sein, bis sie ihn fragen würde, bis er sich auf etwas festlegen musste. Dann wäre er – was? Journalist, Privatgelehrter, Architekt, Anwalt? Weshalb kamen Menschen nach New York? Wusste sie überhaupt, woher er kam, oder wollte sie gar nichts anderes in ihm sehen als einen Fremden?
Sie lachte, schob sich an ihn, kroch über seine Seite bis vor seine Brust, zog seinen Kopf zu sich, lachte wieder. Vermutlich machte sie sich gar keine Gedanken über seinen Beruf, seine Herkunft, sein Geld. Irgendeinen Beruf würde er haben, irgendwo würde er herkommen. Er fühlte ihren Atem. Ihre Hand an seinem Rücken. Ihr Körper strauchelte über seinen. Sie drückte seinen Kopf beiseite und lehnte sich an ihn.
III
Das Vermögen der Tietjens war aus einem kleinen Betrieb herausgewachsen, der am Anfang des 20. Jahrhunderts seine Maschinen angeworfen hatte. Webrahmen klapperten ineinander, Schiffchen zischten von links nach rechts. Die erste Belegschaft bestand aus zwei ehemaligen Steinkohlearbeitern, die vor dem Dämmerlicht in den Schächten flohen, einem entlassenen Kruppianer und drei Frauen, die schweigend die Fäden sortierten. Justus Tietjen, der Firmengründer, schritt wie ein Fürst durch die Reihen, gab Anweisungen, prüfte sein Produkt, harte Leinenhandtücher, aus aschgrauen Fasern gewebt.
Abnehmer fanden sich nur zögerlich, ein Geschäft in Duisburg, zwei in Dortmund, die Konkurrenz aus Bielefeld und Münster war übermächtig, allen voran das Unternehmen Schermerhorn, das den Markt fest im Griff zu halten schien. Schließlich weigerte sich sogar Justus’ Frau, seine Handtücher zu benutzen. Sie sei eine Tochter aus gutem Hause und Besseres gewöhnt, erklärte Eleonore. Ihrem fünfjährigen Sohn könne sie das grobe Gewebe erst recht nicht zumuten. Das sei ein Verrat an ihm und ihrer gemeinsamen Zukunft, schrie Justus. Nach zwei durchzankten Wochen fuhr Justus nach Frankreich, besuchte verschiedene Webereien und ließ sich von den dortigen Experten beraten. Im Herbst 1906 brachte er ein flauschiges Frotteehandtuch in zehn leuchtenden Farben auf den Markt.
Die Weichheit des Tietjenfrottees galt schnell als Pariser Chic, als Nouvelle
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