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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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selbst der Fahrer war mittlerweile hineingeklettert. Die Frau blieb wenige Meter vor Kurt stehen, sie war blass und schmal und trug eine Vielzahl Ringe an ihren Fingern, Modeschmuck, kein einziger von Wert. James, wir warten mit dem Wagen auf der anderen Seite, erklärte sie. Sie sprach englisch mit einem leichten Akzent, freundlich, aber zugleich ungeduldig, und winkte Kurt zu sich.
    Ja, rief er ein wenig zu laut. Ich komme gleich, geh schon vor. Es war ihm unbehaglich, eine fremde Frau zu duzen, aber alles andere schien ausgeschlossen. Sie lief fast tänzelnd auf ihn zu, griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich. Sein Schalenkoffer rasselte über den Asphalt, ihre Hand war überraschend leicht.
    Sie konnte James nur von einem Foto kennen, sonst wäre ihr aufgefallen, dass Kurt nicht aussah, wie er auszusehen hatte. Wenn überhaupt, hatte sie ihn das letzte Mal vor Jahren getroffen – ihn, das hieß diesen James, Kurt verwechselte sich nun schon selbst mit dem Unbekannten. Im Auto würde jemand sitzen und den Irrtum bemerken, es würde herauskommen, dass Kurt nur ein blinder Passagier war.
    Er löste seine Hand aus ihrer, er müsse zurück, ein Gepäckstück sei bereits in den Bus geräumt, sie solle vorgehen, sie solle nun wirklich vorgehen, sagte er und winkte ihr mit der Hand. Kurz hatte er Angst, sie würde darauf bestehen, mit ihm zum Bus zu kommen. Sie nickte, bat ihn, sich zu beeilen. Wir warten im Wagen auf dich. Parkdeck 2, ein roter Nissan.
    Die Glastüren glitten auseinander, und sie betrat das Terminal, aus dem sie gekommen war. Kurt Tietjen blieb zurück. Er dachte an die Stimme der Frau, forsch, beinahe fordernd, James!, als habe sie ihn aufschrecken wollen, und er stellte sich vor, wie er seinen Namen einfach verlöre, nicht mehr Kurt Tietjen war, sondern ein anderer. Einer, den es noch nicht gab, weil niemand sich bislang für ihn interessiert hatte. Für den sich niemand je interessieren würde. Den man in Frieden ließ.
    Hinter ihm hob ein Flugzeug ab, Tasche um Tasche kippte vom Fließband, Flugzeiten klapperten über die Anzeigetafeln, Menschen wurden durchleuchtet, ausgefragt, ihre Pässe abgestempelt. Hier, zwischen Asphalt und Beton, glaubte er, ausbrechen zu können. Der Bus war noch immer nicht abgefahren, auch wenn die Tür sich inzwischen geschlossen hatte. Fasziniert sah Kurt an dem riesigen Gefährt hinauf. Über ihm schauten die Reisenden aus dem Fenster und warteten darauf, endlich nach New York zu kommen. Er erkannte jene Frau mit den Koffern, die gelangweilt seinen Blick erwiderte. Kurt hatte jahrelang keinen Bus mehr bestiegen, doch plötzlich überkam ihn der Wunsch, dort oben mit den anderen mitzureisen. Er klopfte an die Scheibe. Der Busfahrer reagierte zunächst nicht, und als er Kurt bemerkte, warf er ihm einen herablassenden Blick zu, sah kurz nach hinten in den Passagierraum, der noch nicht vollständig besetzt war, und ließ schließlich die Türhydraulik aufschnauben. Er kam herunter, riss die Bauchklappe des Busses auf, um Kurts Gepäck hineinzuschleudern, stellte jedoch fest, dass die Koffer alle eng aufeinanderlagen und keine Lücke mehr frei war. Der Fahrer stieß die Klappe wieder zu und kletterte zurück in den Bus.
    Man werde ihn hier zurücklassen, dachte Kurt erschrocken, ihn auf den nächsten Bus vertrösten, und wer wusste schon, wann der nächste Bus kam. Am Ende würde er doch ein Taxi nehmen, und alles würde normal verlaufen, so wie es seit jeher verlief. Kurt stand am Boden, ein wenig paralysiert, ein wenig panisch. Now come on in!, rief der Fahrer ungeduldig. Kurt trat ungläubig an den Bus heran, wuchtete die Tasche Stufe um Stufe hinauf, und als er die zwölf Dollar in die Hand des Fahrers zahlte, fühlte er sich beinahe sicher. Schwer atmend ließ er sich auf einen freien Sitz fallen, hinter der Frau, deren Taschenarsenal einen Gutteil des Gepäckraums besetzte.
    Er blickte hinaus auf die schattige Umgebung, die plötzlich durchbrochen wurde von grellem Sonnenschein. Sie waren aus der Unterführung herausgefahren, kurvten durch das labyrinthisch angelegte Straßensystem des Flughafens, das sie nur wenig später auf die Schnellstraße entließ. Grüne Richtungsschilder, gelbe Spurstreifen, in der Ferne Wolkenkratzer. All die Leere Deutschlands fiel von ihm ab, eine Leere, die er als Vertrautheit verstanden hatte, und Kurt Tietjen merkte, dass er langsam daraus entkam.
     
    Kurt stieg an der ersten Haltestelle aus, die der Busfahrer anbot, das

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