Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
plane, gänzlich dorthin – ob Herr Tietjen den Konzern verkaufen – ob es noch eine Tietjen’sche Zukunft in Essen gebe?
Luise sah den wachen Blick eines zur obersten Managementebene aufstrebenden jungen Mannes. Konstantin Krays blieb vor ihr stehen, sie nickte ihm zu, wollte an ihm vorbeigehen, doch er hielt sie am Arm fest. Es war Luise unangenehm, mit ihm in der Firma gesehen zu werden.
Mit der Rückkehr ihres Vaters nehme ja nun alles wieder seinen geordneten Gang, bemerkte er.
Gewiss, Herr Krays, antwortete Luise, zu mehr ließ sie sich nicht herab. Sie versuchte, ihn nicht anzublicken, sah dann doch auf seine Hände, seine Arme, schaute an ihm hinauf. Krays Gesicht wirkte ernst, ohne verbissen zu sein, er strahlte eine optimistische Ruhe aus, die den älteren Mitarbeitern der Firma längst abhandengekommen war.
Überhaupt wird das Unternehmen wieder an Fahrt gewinnen, versicherte er ihr und trat noch einen Schritt näher an Luise heran. Natürlich schmeichelte er sich ein, natürlich war er aufgesetzt freundlich, natürlich stand er übertrieben aufrecht da, doch Luise konnte nichts dagegen tun, es gefiel ihr, dass jemand sich so um sie bemühte.
Schön, dich zu sehen, sagte Krays, und Luise hätte gern seine Hand berührt, seinen Arm, sein Gesicht. Sie machen sich gut in der Firma, Frau Tietjen, erklärte er betont nüchtern und ließ seine Hand ihren Rücken hinabgleiten. Luise blickte erschrocken den Gang hinunter, ob jemand sie beobachtete, er beugte sich zur ihr hinab, küsste sie flüchtig auf den Hals. Eine der Türen wurde geöffnet, Lotte Bender trat mit einem Stapel Papiere auf den Flur, ach Konstantin, gut, dass ich dich sehe, kommst du nachher noch mal bei mir im Büro vorbei. Luise hätte es ihm am liebsten verboten, sie beherrschte sich, verabschiedete ihn mit einem Kopfnicken. Schönen Tag noch, Herr Krays.
Das Büro ihres Vaters war ein Saal, in dem sich zwar eine ganze Kapelle, nicht aber ein einzelner Mensch aufhalten konnte: Man betrat den Raum und fühlte sich nichtig. Es gehörte einiges dazu, dieses Gefühl zu ignorieren. Luises Großvater hatte die nötige Härte besessen, ihr Vater besaß sie nicht, er hasste den Raum und hatte sich jahrelang geweigert, ihn zu beziehen. An diesem Tag schien er die Größe des Seniors erreicht zu haben, er war Stunde um Stunde nicht aus dem Chefsaal herausgekommen, vielleicht konnte er ihn an diesem Tag ausfüllen, oder er vergrub sich in der Nichtigkeit.
Erst am Abend, als nur noch die Putzfrauen mit ihren Feudeln durch die leeren Gänge zogen, wagte Kurt Tietjen sich heraus. Luise, die auf ihn gewartet hatte, folgte ihm, gemeinsam fuhren sie mit dem Fahrstuhl nach unten. Sein Blick war müde und flackerte. Kaum waren sie in der Eingangshalle angelangt, kehrte Kurt wieder um, er hatte seinen Koffer neben dem Schreibtisch vergessen. Während die Fahrstuhltür sich langsam vor ihm öffnete, hielt er jedoch inne und fragte Luise ein wenig hilflos, ob er den Koffer heute Abend brauche. Kurt Tietjen, der bisher mit dem Gewicht einer fast zweihundertfünfzig Mitarbeiter schweren Firma auf den Schultern durch den Alltag geschritten war, ließ sich nun so leicht verunsichern, dass Luise ihn eine ganze Weile lang weder zur Rückkehr in sein Büro noch zum Verlassen des Gebäudes bewegen konnte. Der Taxifahrer klopfte an die Glastür, und endlich wachte Kurt aus seiner Erstarrung auf.
Weshalb er so lange fortgeblieben sei, fragte Luise ihn beim Hinausgehen.
Was heißt schon lang, erwiderte Kurt abwehrend. Er faltete seine Beine im engen Rückraum des Wagens übereinander, zog sein Jackett glatt, während der Wagen auf die Straße zurollte und die Firma hinter ihnen kleiner wurde. Luise sah ihm ins Gesicht und war überrascht, dass er ihrem Blick standhielt.
Ich habe mich ein wenig in den Gassen verlaufen. Kurt starrte eine Weile vor sich hin, dann fügte er hinzu: In diesen Straßen vergisst du, an der richtigen Stelle haltzumachen, du läufst immer weiter, noch eine Biegung und noch eine, bis du nicht mehr kannst und trotzdem weiterläufst. Du merkst es nicht mehr, weil du überhaupt nichts mehr merkst. Bis deine Schuhe durchgetreten sind, deine Füße schmerzen, und wenn du aufhörst zu laufen, bricht die Ruhe über dir zusammen. Dann weißt du, dass du genau vor diesem Moment weglaufen wolltest. Er strich sich fahrig mit der Hand durchs Haar, es waren trotz all der Kilometer, die er vielleicht tatsächlich gelaufen war, noch immer seine
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