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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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Vater wird damit nicht zurechtkommen.
    Wo ist er jetzt?, fragte Luise leise.
    Carola stieß hörbar Luft aus und umschloss den Stoff mit ihrer Hand. Ihr hättet mir sagen sollen, dass er zurückgekommen ist, sagte sie. Ich dachte, du seist es, und dann stand er hier, am Tisch, über die Zeitung gebeugt. Nicht einmal hingesetzt hat er sich, er hat nur auf den Artikel gestarrt. Gesagt hat er nichts dazu. Er hat überhaupt nichts gesagt. Als er mich bemerkt hat, ist er wortlos aus dem Zimmer gegangen.
    Luise setzte sich zu ihrer Mutter, wollte die Zeitung zuschlagen, doch sie brachte es auch nicht über sich, das Blatt anzurühren. Ihrem Vater war es immer gelungen, zumindest sein Bild aus der Presse herauszuhalten, und wenn es ihm nun nicht mehr gelang, war das ein Zeichen, dass er grundsätzlich die Kontrolle verlor.
    Er hätte es nicht sehen dürfen, sagte ihre Mutter. Nicht heute Abend. Du weißt, wie empfindlich er nach seinen Reisen ist. Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass er heimkommt? Luises Mutter sah noch immer nicht auf. Ihr Gesicht war farblos, sie hatte ihr Make-up bereits auf einem Reinigungstuch im Badezimmer zurückgelassen. Herr Liu hingegen saß fest und zufrieden in den Zeitungsspalten, nachdem er so lange als heimlicher Betrug in der Firma umhergegeistert war. Bis zuletzt hatten sowohl Krays als auch Luises Onkel versucht, Liu aus den Zeitungen herauszuhalten. Sie hatten zu beschwichtigen versucht, wer von der Sache Wind bekommen hatte: eine ehemalige Tietjenmitarbeiterin, ein junger Manager der Konkurrenzfirma Schermerhorn, einige Journalisten, denen Gerüchte zu Ohren gekommen waren. Erst war Werner, dann auch Krays mit ihnen essen gegangen. Solche Leute seien meistens teuer und selten gefährlich, hatte Krays Luise erklärt, doch wenige Tage nach Kurts Abflug in die Volksrepublik waren sie entweder zu teuer geworden, oder sie hatten sich einfach nicht an die Spielregeln gehalten.
    Alle haben doch Dreck am Stecken, warum mussten sie ausgerechnet deinem Vater hinterherschnüffeln?, fragte Carola und streichelte den Stoff, als wolle sie dieses Wesen in ihrer Hand beruhigen. Warum bei ihm?, flüsterte sie. Das ist einfach nicht gerecht. Sie atmete tief ein und wieder aus, zog ihre Hand zurück und blickte ihre Tochter endlich an. Dein Vater wird es nicht unter Kontrolle kriegen.
    Die zweimalige Erwähnung von dein Vater rückte Luise zu Kurt und ihre Mutter selbst von ihnen ab. Carola konnte jederzeit aufstehen, die Koffer packen und das Haus, das Anwesen, die Firma Tietjen verlassen, es war nicht sie, sondern Kurt, der als blasses Zeitungsbild auf der Tischdecke vor ihnen lag. Dein Vater, als müsste auch Luise sich verantwortlich fühlen für das, was um sie herum geschah.
     
    Dass sie über Nacht bleiben könne, hatte Luise angeboten. Vielleicht könne man am nächsten Morgen alles zu dritt besprechen. Ihre Mutter hatte den Kopf geschüttelt und ein Taxi für ihre Tochter bestellt.
    Luise ließ den Fahrer einen Umweg zu ihrem Apartment nehmen, Straße um Straße zog an ihr vorbei, die Peripherie einer Stadt, die einmal für ihre Industrie berühmt gewesen war und die nun von der EU dafür ausgezeichnet wurde, dass es kaum noch welche gab. Ihr Vater war wieder vorhanden, das rückte Luises Zukunft an ihren Platz zurück, in die vage Möglichkeitsform. Noch hatte sie das Dröhnen von Werners Stimme im Ohr, sah die Gesichter der Angestellten, hörte die Sätze, die sie mit einem Mitglied des Betriebsrats gewechselt hatte: Gut wäre es, wenn sie häufiger in die Firma kommen könnte, der Kampfhahn Werner Kettler sei für die Mitarbeiter nur schwer zu ertragen.
    Als der Fahrer hielt, blickte sie erschöpft auf das Wohnhaus, in dem ihr Apartment, ihre Puppenstube, lag. Ihre Mutter hatte es für sie ausgewählt und eingerichtet, elegant, sauber, mit viel Glas, ein Stil, der niemals persönlich wurde. Das kleine Gemälde des englischen Künstlers Pettibon, das im Wohnzimmer hing, hatte an diesem Ort jegliche Rebellion verloren. Luise war hier ein Ausstellungsstück in einer Vitrine, ihre Mutter wollte sie in ihrer Nähe halten, im Dunstkreis der Familie und des Betriebs.
    Ach bitte, ich habe es mir anders überlegt, würden Sie mich noch ein Stück bringen?, fragte sie den Fahrer und sah erleichtert zu, wie die Puppenstube aus ihrem Sichtfeld verschwand.
    Sie rief Krays nicht an, am Telefon hätte er sie abgewimmelt. Luise, ich bin müde, Luise, morgen ist ein Arbeitstag, Luise, du weißt, wenn ich

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