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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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Er begreife nichts, erklärte Kurt seinen Bekannten am Stammtisch, doch diese lachten nur. Während jeder Reise nach Schanghai stieß er zu der Gruppe europäischer Geschäftsleute, die sich in einem Lokal in einer Seitenstraße der Nanjing Lu trafen, an diesem Abend fühlte er sich zwischen ihnen falsch.
    Begreifen sei hier fehl am Platz, antwortete sein Sitznachbar, er solle bloß nicht versuchen, die Chinesen zu begreifen!
    Hüte dich davor, sie begreifen zu wollen, rief jemand laut von hinten, der Kellner kam an ihren Tisch geeilt, aber man wollte nichts von ihm, man wollte nur ein bisschen Spaß haben. Ob das denn nicht erlaubt sei in diesem grotesk plagiierten Land?, fragte am anderen Tischende ein Grauhaariger, der, wie Kurts Nachbar ihm erklärte, am nächsten Tag nach Bangladesch weiterreiste.
    Und wie recht er damit habe. Der Markt der Zukunft läge vielleicht in China, aber die Produktionsstätten sicher nicht, bemerkte Kurts Nachbar laut. Die werden zu teuer, die Chinesen, das haben ihnen doch die Japaner eingetrichtert, dass sie nicht nur Reis, sondern auch einen Nintendo brauchen.
    Alle lachten. Dann bestellten sie die nächste Runde Weißbier.
    Die Bangladeschi brauchen nur Reis, sagte er. Wenn die irgendwann drauf kommen, dass sie auch einen Nintendo haben wollen, dann haben wir ein Problem.
    Dann geht die Welt zugrunde, sagte ein anderer.
    Das wollten die Japaner schon mit Supermario erreichen, sagte einer.
    Die brauchen die Welt ja auch nicht mehr, sagte der Bangladeschreisende. Die sind längst in eine Spielkonsole abgewandert.
    Alle lachten, hoben ihre Gläser und lachten weiter, ein dumpfes Anlachen gegen die Spielkonsolen und den kleinen Rest Welt.
    Einer der Männer wischte mit der Hand über den Tisch. So muss man Japan wegwischen, weißt du, dieses Inselvolk, sagte er. Wegwischen. Und die Chinesen gleich mit.
    Nein, die brauchen wir, sagte sein Gegenüber.
    Der Markt hier ist zu groß, fügte ein anderer hinzu, und irgendwann sagten sie alle etwas, sogar Kurt Tietjen, wenn er sich auch später nicht mehr erinnern konnte, was es gewesen war.
    Der Bangladeschreisende löste sich aus dem Stimmgewirr und setzte sich mit einem frischen Bier neben Kurt, prostete ihm zu mit einer unverwechselbar farblosen Stimme. Erst jetzt erkannte er W.W. in ihm, die ungewohnte Umgebung hatte ihn vollkommen fremd wirken lassen. Bis vor zehn Jahren war W.W. Mitarbeiter der Firma Tietjen gewesen, der beste Mitarbeiter, Kurts Vertrauter, nun beschränkte sich ihr Kontakt auf zufällige Begegnungen, dann und wann ein Abendessen in offiziellem Kreis.
    In Bangladesch musst du investieren, erklärte W.W. fröhlich.
    Kurt winkte ab. Er habe seine Verträge. Er mache Gewinne, und das genüge ihm.
    Von Gewinnen kannst du nie genug haben. Dhaka. Unter uns. Du musst in die Zukunft schauen, Tietjen.
    Die Gegenwart sei entsetzlich genug, entgegnete Kurt und drehte sein Glas vor sich auf dem Tisch. Als Einziger trank er Tsintao und kein Weißbier, obwohl er Tsintao ebenso wenig leiden konnte. W.W. müsse entschuldigen, sagte Kurt, erst heute sei er aus Jiangsu zurückgekehrt und fühle sich ein wenig erschöpft.
    Du musst ja nicht hinreisen. Du musst nur investieren. Was willst du in Jiangsu? Im vorigen Jahrhundert zu leben, das können sich vielleicht Politiker erlauben, aber wir nicht. Wir müssen Verantwortung tragen.
    Er persönlich trage nur Verantwortung für ein paar Frotteelappen, erklärte Kurt. Zu diesem Zeitpunkt spürte er bereits den Alkoholrausch, der plötzlich und schmerzhaft eingesetzt hatte, migräneartig. Danach war alles verloren. Sie bestellten eine weitere Runde Bier.
    Es sei ja alles eine große Lüge.
    Was?, wollte W.W. wissen.
    Alles. Das da draußen. Das wir hier sitzen. Alles eben.
    Na und?, fragte W.W. Was ändert das? Du musst dich ja trotzdem dazu verhalten. Eine Lüge stellt keine neuen Spielregeln auf. Neue Spielregeln werden in einer Ethikkommission beschlossen. Und für die interessiert sich wirklich niemand.
    Spielregeln, wiederholte Kurt trocken.
    W.W. begann zu kichern. Etwas Amüsantes musste vorgefallen sein, das Kurt entgangen war, wie ihm immer das Entscheidende entging, während W.W. es schon lange im Voraus sah. Manchmal schien es, als träfen die Ereignisse nur ein, weil W.W. sie vorhergesehen hatte.
    Im Ernst, fuhr W.W. fort. Können wir heute noch sagen, was gute Spielregeln sind? Ich glaube nicht. Wenn du dich übrigens für Bangladesch nicht begeistern kannst, dann habe ich noch

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