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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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andere Ideen. Wir sollten uns zusammensetzen, wenn wir beide wieder in Deutschland sind. Oder du kommst morgen mit. Ja, du solltest mitkommen. Das ist deine Chance, Kurt. Deine Chance, dass eure Handtücher endlich in der Gegenwart ankommen.
    Nein, sagte Kurt erschrocken. Ihn erfasste das Gefühl, sein Leben werde ihm von W.W. aus der Hand genommen. Kurt aber ließ es nicht los, hielt fest, fester als sonst, etwas war anders heute, vielleicht war es die Erschöpfung, die ihn kurzzeitig gegen alle Eingriffe schützte.
    Zwischen dem zwanzigsten Jahrhundert und heute liegen nicht bloß, wie du denkst, zehn Jahre, sagte W.W. Wer der Zeit nicht voraus ist, hat schon verloren. Das zwanzigste Jahrhundert war spätestens neunzehnachtzig vorbei. Und danach ging alles sehr schnell, weil immer alles schnell geht. Das ist nun mal der Lauf der Dinge. Es sind Jahrzehnte, die zwischen dem zwanzigsten Jahrhundert und heute liegen. Du lebst in der Vorzeit. Du solltest nach Dhaka, entschied W.W. und klopfte ihm auf die Schulter, es war ein grauenhaftes Gefühl, als würde er von etwas Weichem zerhackt.
    Kurt wollte sich verabschieden, doch zuerst übersah ihn der Kellner, dann hielt ein Kollege aus Mannheim ihn auf, und als er endlich im Taxi saß, wurde er nicht in sein Hotel gebracht. Ihr Konvoi bestand aus drei Wagen, W.W. saß im ersten, Kurt im zweiten, zusammen mit einem hageren Holländer und einem Österreicher, der wiederholt darum bat, anzuhalten, er müsse sich übergeben. Der Fahrer verstand kaum ein Wort Englisch und lenkte stoisch ihrem Ziel entgegen. Nach einer Viertelstunde tauchte das Taxi in eine Tiefgarageneinfahrt ab und kurz darauf hielt es auf einem Parkplatz. Der Club musste unter oder neben einer Shoppingmall liegen, zumindest schien es Kurt, als seien sie, nachdem sie ausgestiegen waren, ein Stück durch die bleichen, um diese Uhrzeit leblosen Gänge gelaufen, die die Geschäfte miteinander verbanden. Aber vielleicht täuschte er sich auch, brachte Erinnerungen zusammen, die nicht zusammengehörten. Sie waren einige Schritte gegangen, und bald war eine Tür aus Mahagoniholz lautlos zur Seite geglitten. Dahinter hörte die Betäubung aus grellem Neonlicht auf, und eine Dame in Reizwäsche hieß sie willkommen.
    Die Wände waren mit asiatischen Holzschnitzereien verziert, Bäume, Vögel, etwas Rundes, das wahrscheinlich einen Himmelskörper darstellen sollte, Sonne oder Mond oder ein Drittes. Die Empfangsdame führte sie durch die Räume, alles wirkte zerbrechlich, die Möbel, die Wände, selbst die Musik. Etwa zehn Asiatinnen und zwei europäische Mädchen standen an der Bar. Er solle sich eine aussuchen, flüsterte ihm W.W. zu. Kurt zeigte auf ein asiatisches Mädchen und hatte, kaum dass er die Hand sinken ließ, schon wieder vergessen, welche es gewesen war. Die Empfangsdame griff Kurt unsanft an der Hand und dirigierte ihn in einen Seitenraum, klein wie eine Kabine. Man hätte hier sicherlich auch Karaoke singen können, hätte nicht das Bett in der Raummitte gestanden. Alles war weich, die Ecken, Lampen, Möbel, sogar die Bustiers, die dekorativ an der Wand hingen, waren mit Plüsch überzogen.
    An diesen Club solltest du dein Zeug verkaufen, sagte W.W. Hierher kommen sie alle. Die Chefs von Siemens-Bosch und der Premierminister von Südkorea. Er lachte und ließ die Tür hinter sich zufallen. Kurt war allein im Raum. Er war etwas ratlos, wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte. Das änderte sich auch nicht, als sich die tapezierte Wand aufschob und seine Begleitung zu ihm in die Kabine trat.
    Klein und hell stand sie vor ihm. Sehr klein. Sehr hell. Kurt Tietjen wich zurück. Er musste vom Bier aufstoßen. Sie bat ihn aufs Bett, drückte ihn nicht, stieß ihn nicht, es war nur eine Geste: Er wurde plaziert. Sie legte sich halb neben, halb auf ihn. Ihre fast körperlos leichten Finger begannen ihn zu massieren und dabei die Kleidung von ihm abzublättern. Der Alkohol schäumte in seinem Kopf. Er entglitt sich. Der Raum entglitt ihm. Das Gesicht des Mädchens hing über ihm, rund und hell, keine Sonne, kein Mond, ein Drittes.
     
    Spät kehrte Kurt ins Hotel zurück, todmüde und zugleich hellwach. Er schaltete den Fernseher ein und legte sich aufs Bett. Gern hätte er geraucht, vielleicht sogar Drogen genommen, Opium, irgendetwas, aber er rauchte nicht und nahm auch kein Opium, und er würde nicht in einem chinesischen Swissotel damit beginnen. Also blieb Gin, aber den Gin aus der Minibar hatte er

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